Abschied von den Stellvertretern – Die IG Metall gibt einen Einblick in ihre Bemühungen, Beschäftigte zu organisieren

Buch bei VSA: IG Metall Bezirk Baden-Württemberg (Hrsg.): aufrecht gehenBelegschaftsumfragen, Unterschriftensammlungen, Gespräche vor den Werkstoren – mancher Bericht von betrieblichen Aktionen wirkt zunächst wenig aufregend. Aktivenkreise, die ein Flugblatt selbst verfassen? Betriebsräte, die sich an den Bedürfnissen der Beschäftigten orientieren? Was denn sonst? Selbstverständlich ist das aber nicht. Tatsächlich verbirgt sich hinter solchen Berichten eine kleine Revolution in der Betriebsarbeit von Gewerkschaften, die zunehmend mit Routinen brechen. Sie warten nicht mehr ab, bis die Beschäftigten von sich aus zu ihnen kommen, sondern gehen selbst hin und fragen, wo der Schuh drückt. Vor allem bedeutet die neue Herangehensweise eine Abkehr von der Stellvertreterpolitik, bei der der Betriebsrat die Probleme der Beschäftigten regelt, ohne dass die etwas davon mitkriegen, aber auch, ohne sie nach ihrer Meinung zu fragen. Dies erfordert indes nicht nur auf gewerkschaftlicher Seite ein Umdenken, sondern auch aufseiten der Beschäftigten, die ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen müssen, statt die Verantwortung auf andere zu schieben. Unter dem Schlagwort Organizing ist dieser aus den USA stammende Ansatz in die hiesige Gewerkschaftsarbeit vorgedrungen. Vorreiterin dabei war die IG Metall und hier insbesondere der starke Bezirk Baden-Württemberg mit seinen mehr als 430 000 organisierten Metallern…“ Rezension von Ines Wallrodt bei neues Deutschland vom 19. Juli 2018 externer Link – siehe dazu das Buch bei VSA: IG Metall Bezirk Baden-Württemberg (Hrsg.): aufrecht gehen externer Link und weiteres dazu:

  • Neue Mitglieder für die Gewerkschaften. Mitgliederpolitik als neues Politikfeld der IG Metall New
    Die politische Macht, die finanzielle Kraft und die gesellschaftliche Legitimation von „Mitmach“-Organisationen wie die Gewerkschaften hängt entscheidend ab von der Zahl ihrer Mitglieder. Sinkende Mitgliederzahlen schränken die Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit ein, Macht und Einfluss sinken, Vertrauen und Legitimation schwinden. Am Beispiel der IG Metall beleuchtet das OBS-Arbeitsheft 97 Bedingungen, analysiert Prozesse und berichtet über erste Erfahrungen einer systematisch angelegten Mitgliederpolitik. Die Untersuchung wagt eine kritische Zwischenbilanz der IG Metall-Erschließungsarbeit und stellt einige spannende Ergebnisse aus der Praxis zur Diskussion.“ OBS-Arbeitsheft 97 von Wolfgang Schroeder, Stefan Fuchs und Lukas Heller (Mitarbeit) vom 11. März 2019 externer Link bei der OBS (dort weitere Infos)
  • Aus Erfahrung klüger. IG Metall Baden-Württemberg zieht Zwischenbilanz eines flächendeckend und langfristig angelegten »Organizing«-Projekts 
    Die IG Metall macht keine halben Sachen. Und sie lernt aus Erfahrungen. Das zeigt das Buch »Aufrecht gehen«, in dem die ersten drei Jahre des »Gemeinsamen Erschließungsprojekts« (GEP) in Baden-Württemberg ausgewertet werden. Im Unterschied zu anderen »Organizing«-Kampagnen – mit denen Gewerkschaften seit einigen Jahren versuchen, ihre Mitgliederzahl und Mobilisierungsfähigkeit zu erhöhen – ist das GEP nicht auf einen einzelnen Betrieb oder eine Teilbranche beschränkt. Und: Es läuft mit neun Jahren deutlich länger als die meisten bisherigen Vorhaben dieser Art. Mit dem im VSA-Verlag erschienenen Buch wird eine erste Zwischenbilanz gezogen. Und das auf eine Art, die interessanter ist als in gewerkschaftlichen Publikationen oft üblich. (…) Dazu gehört eine Abkehr von der Stellvertreterpolitik: »Die Beschäftigten wollen mitbestimmen, auch in der Gewerkschaft.« Deshalb ist viel von »demokratischen, beteiligungsorientierten Prozessen« die Rede, sogar von »einer Neuausrichtung der gesamten IG Metall Baden-Württemberg«. Neben der stärkeren Einbeziehung der Mitglieder in Entscheidungen ist damit auch das Ziel verbunden, »die Durchsetzungs- und Konfliktfähigkeit unserer Organisation langfristig zu sichern«. All das ist gut und richtig, aber nicht automatisch mit einer klassenkämpferischen Neuausrichtung der Gewerkschaftspolitik verbunden. Die propagierte Konfliktorientierung ist nicht eingebettet in ein größeres Ziel gesellschaftlicher Umgestaltung, wie sie in den 1970er Jahren viele Gewerkschafter angetrieben hat. Sie dient vielmehr dazu, die »Sozialpartnerschaft« zu stabilisieren. Dahinter steckt die Einschätzung, dass die Unternehmen Gewerkschaften nur so lange ernst nehmen, wie diese über ausreichende Organisationsmacht und Konfliktfähigkeit verfügen. Bitten und betteln reichen nicht. Das ist schon mal eine wertvolle Erkenntnis, aber noch keine Abkehr von einer Standortpolitik, für deren Vertreter die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie an erster Stelle steht. Solche politischen Fragen spielen in dem Buch kaum eine Rolle, auch wenn der IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger betont, dass man durchaus einen gesellschaftspolitischen Anspruch verfolge, nämlich, »Ungleichheiten zu beseitigen«. Diese seien im Betrieb am sichtbarsten und müssten dort als erstes angegangen werden. Gemeint ist damit vor allem die Durchsetzung von Tarifverträgen. (…) Das Gute an dem Buch ist, dass es auch die Schwierigkeiten und Widerstände nicht verschweigt, die dabei entstehen. So erklärt der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Stuttgart, Uwe Meinhardt, ganz offen im Interview: »Ob bei Daimler in Untertürkheim oder Sindelfingen ein Konflikt geführt wird, entscheidet nicht der GEP-Sekretär, sondern im Zweifelsfall der Betriebsratsvorsitzende, der auch IG-Metaller ist. Und glaubst du, der Kollege freut sich, wenn hier eine Parallelstruktur aufgebaut wird?«...“ Rezension von Daniel Behruzi in der jungen Welt vom vom 21.08.2018 externer Link
  • Aus der Rezension von Ines Wallrodt bei neues Deutschland vom 19. Juli 2018 externer Link: „… In der Gesamtschau ziehen die Beteiligten eine positive Bilanz, sie verschweigen aber auch die Schwierigkeiten und Tiefschläge nicht: Widerstände in den eigenen Reihen, wenn Teams gebildet werden, die es so in gewerkschaftlichen Arbeitsabläufen noch nicht gab. Diskussionen um den hohen Ressourceneinsatz für 24 Erschließungsbeauftragte und ausgewählte Zielbetriebe, Angst bei Betriebsräten oder in den Geschäftsstellen vor Einflussverlust und Parallelstrukturen, wenn einer »von außen« kommt und einen Kampagnenplan auf den Tisch legt. Offen angesprochen werden Probleme mit Betriebsräten, die den Konflikt mit der Geschäftsleitung scheuen und deshalb beispielsweise Samstagsarbeit zustimmen. Denen sei man zuweilen auf die Füße getreten. Deutlich wird schließlich, wie anstrengend es ist, wenn man nicht einfach machen kann, sondern viele einbezogen sind. Dabei hat ein auf diesem Wege gefundenes Ergebnis auch mehr Rückhalt…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=134962
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