Polizeiüberfall auf Berliner Jugend-Wohnheim: Prügel für Alle

Stoppt PolizeigewaltIm Zusammenhang von Untersuchungen zu einem Strafdelikt lag ein Durchsuchungsbeschluss für das Zimmer des in der Jugendhilfe untergebrachten Minderjährigen vor. Die Kriminalpolizei informierte die zuständige Bezugsbetreuerin und Vormundin am 19. April 2018 über die bevorstehende Durchsuchung und zeigte sich sehr kooperativ. Die Bezugsbetreuerin erklärte der Beamtin die Aufteilung der Räumlichkeiten und teilte ihr mit, dass noch weitere Jugendliche in der Wohnung wohnten und es sich um eine stationäre Jugendhilfeeinrichtung handelt, in der die Jugendlichen ohne Nachtdienstbetreuung wohnen. Die Beamtin versicherte, dass nur das Zimmer des betroffenen Jugendlichen und die Gemeinschaftsräume durchsucht werden. (…) Am Mittwoch den 09. Mai 2018 gegen 07:15 Uhr verschaffte sich die Sicherungseinheit Zugang zur Wohnung der Jugendlichen. Zu dieser Zeit schliefen die drei jugendlichen Bewohner in ihren Zimmern, zwei Zimmer waren unbewohnt und durch den Träger verschlossen. Die Vormundin und die Bezugsbetreuerin wurden nicht informiert. Die Wohnungstür wurde ohne vorheriges Klingeln eingetreten und die Sicherungseinheit verschaffte sich mithilfe mehrerer Teams Zugang zu allen Zimmern. Aufgeschreckt durch den Lärm, wachte einer der Jugendlichen – für dessen Zimmer kein Durchsuchungsbeschluss vorlag – auf und öffnete die Zimmertür. Er erschrak und verschloss aus Angst seine Tür. Drei bis vier Beamt*innen verschafften sich wortlos Zugang zum Zimmer, warfen den Jugendlichen zu Boden, schlugen mit Schlagstöcken auf Rücken und Schultern ein und verrenkten ihm den Arm. Er wurde in den Flur geschliffen und ein Notarzt versorgte ihn kurze Zeit später. Der Jugendliche fragte die Beamt*innen was er getan habe. Der Beamte sagte, dass er selbst Schuld sei, wenn er mit […] (Name des beschuldigten Jugendlichen) zusammen wohnen würde“ – aus „Übergriff der Berliner Polizei auf Jugendwohngruppe für unbegleitete minderjährige Geflüchtete“ eine Stellungnahme des Kinder- und Jugendhilfe-Verbundes Berlin / Brandenburg (KJHV zentral) am 17. Mai 2018 externer Link beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin in der die Vorgänge nochmals ausführlicher dargestellt werden als in einem vorherigen Beitrag. Siehe dazu auch weitere aktuelle Beiträge zu dieser Polizeiaktion sowie über die behördlichen Reaktionen:

  • Nach dem Überfall auf unbeteiligte Mitbewohner einer Jugend-WG: Berliner Polizei sieht Sicherheit (der Beamten) gewährleistet… New
    „»Bei schweren Gewalttätern muss die Polizei hohe Anforderungen an die Sicherheit und den Schutz der eingesetzten BeamtInnen stellen. Es muss aber dennoch gewährleistet sein, dass Unbeteiligte Dritte nicht zu Schaden kommen.« Polizeipräsidentin Slowik stellte klar, dass der Durchsuchungsbefehl für die Wohnung des Verdächtigen galt. Dazu Tomiak: »Da es sich bei der betreffenden Wohnung um eine Wohngruppe für Jugendliche handelte, in der auch unbeteiligte Dritte lebten, ist zu klären, wie die Polizei zukünftig mit so einer ›WG-Situation‹ umgeht.« Für den integrationspolitischen Sprecher der LINKEN, Hakan Taş, ist die Frage, ob alle Räume hätten durchsucht werden müssen oder ob der Einsatz insgesamt hätte besser vorbereitet werden müssen, noch nicht geklärt. Dem »neuen deutschland« sagte Taş: »Künftig müssen sich Polizei und Jugendhilfe besser abstimmen. Es muss geklärt werden, ob es eine Richtlinie zwischen Polizei und Jugendverwaltung für derartige Einsatz geben muss. So etwas hinterlässt Spuren. Das darf aus meiner Sicht nicht vorkommen.« Die LINKE plant eine Anfrage an die Verwaltung, wie oft derartige Einsätze in Berlin stattfinden und in welchem Rahmen“ – aus dem Beitrag „»So etwas hinterlässt Spuren«“ von Florian Brand am 29. Mai 2018 in neues deutschland externer Link – woraus dann schon die Frage auftaucht, wer in Berlin eigentlich regiert…“
  • „Zügige Aufklärung des Vorfalls und entsprechende Konsequenzen gefordert“ am 24. Mai 2018 ebenfalls beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin externer Link ist eine weitere Erklärung der Jugendhilfe, in der unterstrichen wird: „Bei einem Einsatz in einer sozialpädagogischen Jugendwohngruppe des Kinder- und Jugendhilfe-Verbundes Berlin-Brandenburg  (kjhv) ist es am 9. Mai 2018  mutmaßlich  zu unverhältnismäßigen und rechtswidrigen Handlungen durch Einsatzkräfte der Polizei Berlin gekommen. Wir fordern eine zügige Aufklärung des Vorfalls und entsprechende Konsequenzen. So halten wir es für zwingend notwendig, grundsätzlich ein Verfahren zu entwickeln, wie bei polizeilichen Ermittlungen in Jugendhilfeeinrichtungen die Rechte Schutzbedürftiger und vor allem auch die von Unbeteiligten berücksichtigt und gesichert werden können.  Dazu muss es schnell und dringend Abstimmungen zwischen der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung, der Senatsverwaltung für Inneres und der Polizei geben. In Jugendhilfeeinrichtungen werden junge Menschen betreut, die unsere besondere Unterstützung benötigen. Es liegt in unser aller Interesse, dass sie sich dort sicher fühlen können und gerecht behandelt werden. Wir begrüßen, dass das für Amtsdelikte zuständige Landeskriminalamt ermittelt und zur Aufklärung des Vorfalls beiträgt“.
  • „Rassistische Polizeigewalt gegen minderjährige Geflüchtete“ am 23. Mai 2018 bei Perspektive Online externer Link fasst die verschiedenen Erklärungen folgendermaßen zusammen: „Tatsächlich stürmten aber die Beamten am 9. Mai schon in der Früh die Wohnung. Ohne zu klingeln oder eine Reaktion abzuwarten, traten sie die Wohnungstür ein. Der erste Jugendliche, der aufwachte, verschloss seine Tür, als er die hereingestürmenden BeamtInnen sah. Daraufhin wurde auch seine Tür gewaltsam geöffnet, er mit Schlagstöcken verprügelt und zu Boden geworfen. Als er die PolizistInnen fragte, was der Grund für die Gewaltanwendung sei, wurde ihm entgegnet, dass er selbst schuld sei, da er mit dem Beschuldigten zusammen wohne. Der unbegleitete Minderjährige hatte dank seiner Behandlung gerade erst in eine Einrichtung wechseln können, in der er nachts nicht betreut werden musste.  Das ist nach dem erneuten traumatischen Erlebnis für ihn jetzt nicht mehr möglich: „15 Minuten Polizeigewalt haben somit zwei Jahre Jugendhilfe und therapeutische Arbeit zerstört“, heißt es in der Pressemitteilung. Alle Bewohner der Wohnung, darunter auch der Beschuldigte, wurden während des Einsatzes misshandelt und verletzt. Zusätzlich ist es zu erheblichen Sachbeschädigungen gekommen, unter anderem, als ein Jugendlicher von BeamtInnen in einen Glasschrank geschleudert wurde. Der Träger der Einrichtung fordert nun Entschuldigung und Entschädigung für den entstanden Schaden – sowohl körperlich als auch psychisch – , ebenso sollen die Verantwortlichen für den entstandenen Sachschaden aufkommen“.
  • „Jugendhilfe erhebt schwere Vorwürfe gegen Polizei“ von Florian Brand am 25. Mai 2018 in neues deutschland externer Link zu den behördlichen Konsequenzen: „Der Polizeisprecher wollte auf nd-Anfrage lediglich den stattgefundenen Einsatz bestätigen, an dem insgesamt 13 MitarbeiterInnen der Direktionen fünf und sechs beteiligt gewesen waren. Grund war demnach ein wegen Raubes verdächtiger Jugendlicher. Deshalb habe das Raubkommissariat mit Unterstützungskräften die Einrichtung durchsucht. Im Zuge der Durchsuchungen wurden Beweismittel sichergestellt, die nun ausgewertet werden, so Neuendorf weiter. Warum der Einsatz derart eskalierte, konnte der Sprecher nicht sagen, verwies jedoch darauf, dass der gesuchte 18-Jährige bereits wegen Gewaltdelikten – auch gegen BeamtInnen – polizeibekannt sei. Der ausgestellte Durchsuchungsbeschluss habe für die Wohn- und Aufenthaltsräume des Jugendlichen gegolten, sagte Neuendorf. Die internen Ermittlungen müssten nun zeigen, ob und inwiefern das Vorgehen und die Durchsuchungen der anderen Räumlichkeiten durch die Sicherungseinheiten der Berliner Polizei gerechtfertigt gewesen seien“.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=132515
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