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Griechische Faschisten überfallen den Bürgermeister von Thessaloniki: Ihre Anhänger kotzen sich in den sozialen Medien aus

goldene morgenroeteDer Herr Boutaris, Bürgermeister der zweitgrößten Stadt Griechenlands, hat seinen eigenen Stil, der keineswegs besonders progressiv ist: Das Tourismus-Geschäft mit der Türkei trotz aller Spannungen vorantreiben (schließlich ist das der Geburtsort von Kemal Pascha, das lässt sich bei nationalistischen Türken vermarkten) und Fragen, wie die von Rechten im Zusammenspiel mit Konservativen hochgespielte Mazedonien-Frage für „scheißegal“ zu halten. Was ihm entsprechende Kritiken vom nationalen Lager eintrug, dessen radikaler Flügel nun – wie immer, mit großem Maul und feige, mit Vielen gegen Einen – zugeschlagen hat, der Mann musste ins Krankenhaus zur Behandlung. Wie schon beim ersten großen Aufmarsch der griechischen Nationalisten wegen ihres Mazedonien-Wahns – als es etwa Brandattacken auf ein soziales Zentrum gab – distanzieren sich nun die „großen Vereinigungen“ von dem faschistischen Akt, von den Geistern, die sie bewusst riefen. Und während also das offizielle Griechenland seine Empörung beteuerte, gab es in den asozialen Netzwerken eine Welle von Hasspropaganda, die Gewalt gegen Andersdenkende bejubelte. Siehe zum faschistischen Überfall und den Reaktionen fünf aktuelle Beiträge:

  • „Brutaler Angriff auf Thessalonikis Bürgermeister Boutaris“ von Elisa Hübel am 21. Mai 2018 in der Griechenland-Zeitung externer Link berichtet: „Der Vorfall hat sich während einer Gedenkveranstaltung für den Genozid an den Pontos-Griechen vor dem Weißen Turm in Thessaloniki ereignet. Zunächst wurde der Bürgermeister, der zu Fuß unterwegs war, von aufgebrachtem Mob beschimpft. Vorgeworfen wurde ihm u. a. ein Türkei-freundliches Verhalten und „Verrat“. Anschließend wurden einige der Anwesenden tätlich, darunter auch Personen, die ihre Gesichter mit Masken verhüllt hatten. Boutaris wurde bespuckt, geschlagen und mit Füßen getreten. Für kurze Zeit, so berichten Augenzeugen, ging der 76jährige sogar zu Boden. Mit großer Mühe gelang es seinem Bodyguard und zwei weiteren Begleitern ihren Chef ins Auto zu retten: ein kleiner Fiat Panda. Dort wurde zum Schluss noch eine Scheibe eingeschlagen, wobei sich der Täter offenbar selbst verletzte; er wurde anschließend im Krankenhaus, wo Boutaris behandelt wurde, gesehen. In Anspielung auf die Ermordung des Linkspolitikers und Aktivisten der Friedensbewegung Grigoris Lambrakis, der im Mai 1963 in Thessaloniki von Rechtsextremen ermordet worden war, titelte die linksorientierte „Efimerida ton Syntakton“ am Montag: „Nur ein Dreirad-Fahrzeug und ein Knüppel fehlten“ – die beiden „Werkzeuge“, die bei der Ermordung von Labrakis benutzt worden waren.  Boutaris selbst sprach von einem „miserablen Angriff“. Er schloss aus, dass es sich bei den Tätern um Mitglieder der Gemeinde der Pontos-Griechen handle. Er erstattete Anzeige gegen Unbekannt.  Einhellig verurteilt wurde der Vorfall von der politischen Führung des Landes“.
  • „Vier Festnahmen nach Angriff auf Bürgermeister von Thessaloniki“ am 21. Mai 2018 bei Spiegel Online externer Link nach der Festnahme der Tatverdächtigen: „Aufnahmen zeigen, wie Boutaris von Demonstranten attackiert und mit Gegenständen beworfen wird. Der Bürgermeister stürzt zu Boden. Als Boutaris sich in seinen Dienstwagen rettet, versuchen einige Angreifer, die Scheiben des Autos zu zerstören. Regierungschef Alexis Tsipras machte „rechtsextreme Schläger“ für die Tat verantwortlich. Die meisten Parteien verurteilten die Tat. Die Tochter des Parteichefs der Neonazi-Partei Goldene Morgenröte, Ourania Michaloliakou, warf dem Bürgermeister hingegen vor, „anti-griechisch“ zu sein, und gratulierte den Angreifern. Der Politikveteran Boutaris hatte in der Vergangenheit mit umstrittenen Äußerungen über Mazedonien oder die Türkei immer wieder den Zorn von Extremisten auf sich gezogen“.
  • „Violence and Lawlessness Create a Republic of Fear in Greece“ von Tasos Kokkinidis am 21. Mai 2018 beim Greek Reporter externer Link ist ein Beitrag, bei dem, sozusagen unter der Hand, die Schnittmenge konservativer Ansichten und faschistischer Gewalt deutlich wird: Zwar wird empört darauf verwiesen, dass dieser neuerliche Gewaltakt Zeichen um sich greifender Gesetzlosigkeit sei, wobei alle möglichen Aktionen unter einen Hut gepresst werden – gleichzeitig wird aber lang und breit über die „unangemessenen“ Äußerungen des Bürgermeisters zur Geschichte der griechisch-türkischen Beziehungen berichtet: Wer dann daraus welche Schlussfolgerungen zieht…
  • „Op-ed: Hailing the mob attack on Boutaris is equally despicable and outrageous as the attack itself“ am 21. Mai 2018 bei Keep Talking Greece externer Link ist ein Beitrag, der sich mit den – natürlich zustimmenden – rechten Reaktionen auf den Überfall in den asozialen Netzwerken befasst. Den Akt zu bejubeln, so die Redaktion, sei genauso Verurteilens wert, wie ihn zu begehen. Der Ausgangspunkt: Keep Talking Greece hatte als eines der ersten Medien über den Vorfall berichtet, unter dem Titel „Faschistischer Überfall auf Bürgermeister Boutaris“ – und eben dieser Bericht erzeugte das, was in modernen Sprachen so nichtssagend „shitstorm“ genannt wird. Die „Argumente“ die die Hassprediger vorbringen sind dermaßen eindeutig „parteiübergreifend“, dass sie für sich sprechen und gegen ihre AutorInnen. Boutaris betreibe den Verrat an Mazedonien, sei antihellenisch. Und erst recht an den Pontos – Griechen (also jenen, die wie viele andere, Opfer der ethnischen Säuberungen aus Anlass der Erfindung des türkischen Nationalstaats wurden) durch seine Tourismus-Förderung. Weil er eine Gay Pride Parade in der Stadt erlaube. Und weil er ohnehin ein „Freund der Türken, Albaner und Juden“ sei. Viel Feind, viel Ehr für die griechische Nazion.
  • „Griechenland: Rechte Gewalt auf dem Vormarsch“ von Wassilis Aswestopoulos am 22. Mai 2018 bei telepolis externer Link, worin es – nach der ausführlichen Darstellung der politischen Entwicklungsgeschichte des Bürgermeisters – zur Reaktion des „politischen Establishments“ und seiner inhaltlichen Verbindungslinien zur faschistischen Hetze unter anderem heißt: „Tatsächlich sind fast alle Parteien auf ihre Weise schuld am Dilemma. Tsipras Syriza hat keinerlei schwerwiegende Probleme mit dem Koalitionspartner Unabhängige Griechen, dessen Vertreter im Parlament rassistisch, homophob und nationalistisch argumentieren. Schließlich möchte Tsipras Truppe die Regierungsgewalt halten. Toskas verspricht zwar eine schnelle Festnahme, vermeidet aber zu erklären, wieso die Polizei nicht während der Tat eingriff. Kontonis stellt eine schnelle Bestrafung in Aussicht, steht aber einer Justiz vor, die auf dem rechten Auge mehr als blind ist. Der Bischof von Kalawrita, Amvrosios, der nicht als Geistlicher, sondern als Volksverhetzer vom Altar aus gegen Ausländer, Homosexuelle und Linke zu Gewalt und sogar zum Lynchmord aufruft, wurde trotz eines strengen Antirassismus-Paragraphen in erster Instanz frei gesprochen.  Beim Prozess gegen die Intellektuelle Soti Triantafyllou, die pauschal sämtliche Anhänger des Islam als Mörder bezeichnete, war es der Staatsanwalt, der offen bekannte, dass er mit dieser Ansicht übereinstimmen würde“.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=132400
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