Achille Mbembe: „Identitätspolitik ist Opium für das Volk“

Solidarität statt RassismusAchille Mbembe, der wichtigste Denker Afrikas, im Gespräch mit Wolfgang Schütz am 10. Mai 2018 bei der Augsburger Allgemeinen online externer Link: „… Einst war Identitätspolitik ein Mittel der Emanzipation, etwa in der Frauenbewegung, und ein Mittel der Inklusion, um mehr Menschen zu vereinen. Heute wird sie für das Gegenteil instrumentalisiert: zur Ausgrenzung. Die möglichen Verlierer innerhalb der Gesellschaft werden gegen die äußeren mobilisiert. Und benutzt werden dabei die üblichen Muster wie die Religion und die Rasse. Identitätspolitik ist dadurch eine Bedrohung der Demokratie geworden. Wer die liberale Demokratie zerstören will, muss in Identitätspolitik investieren. Aber die entscheidende Frage unserer Zeit ist ja, was uns mit anderen verbindet, die nicht „Wir“ sind. Denn eigentlich sind ja alle von den gleichen Problemen betroffen. Zum anderen: Im Zeitalter des Individualismus steckt die Idee der Gemeinschaft in einer tiefen Krise. Wir sind Individuen, die allein verantwortlich für uns sind. Auch wenn wir scheitern, ist es allein unsere Schuld. Dem anderen schulden wir nichts. Das ist die Folge des Kapitalismus. Und so höhlt er das demokratische Projekt aus. (…) Der Kapitalismus ist eine Bedrohung geworden für die Zukunft des Planeten. Das hat nichts mit Identität zu tun und wäre nie im Rückzug auf Nationales zu lösen. Identitätspolitik ist darum Zeitverschwendung. Der Kapitalismus braucht sie, um die Leute abzulenken, sie ist Opium für das Volk, ein Schleier, hinter dem sich die wirklichen Probleme verbergen. Identitätspolitik bedeutet tatsächlich eine Entfremdung des Menschen von den Fragen des Lebens. (…) Darum spreche ich gerne über eine Welt ohne Grenzen. Eine verrückte Utopie, ich glaube nicht, dass es das jemals geben wird. Aber wir müssen auch diese Ideen in Umlauf bringen – in Konkurrenz zu all den düsteren Perspektiven und den Fantasien der absoluten Sicherheit und der totalen Kontrolle. Denn wir haben einen langen Kampf gegen den Niedergang des Menschen zu bestehen. Und wir werden ihn niemals endgültig gewinnen, immer wieder von Neuem beginnen müssen. Und wenn immer mehr Menschen immer öfter die Erfahrung des Scheiterns machen und es keine Regierung, keinen Herrscher mehr gibt, sondern bloß noch die Macht der Strukturen, die dafür verantwortlich sind – dann kann uns nur noch die Gemeinschaft helfen, die Menschlichkeit zu bewahren.“

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