Neue Polizeigesetze, überall – eine Bestandsaufnahme

Dossier

Demonstration gegen den Europäischen PolizeikongressAlle 16 Bundesländer verändern im Moment ihre Polizeigesetze. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen gilt ab dem 25. Mai 2018 die EU-Datenschutz-Grundverordnung, die die Grundrechte der Europäer schützen soll und der sich Bundes- und Landesgesetze unterzuordnen haben. Zum anderen kippte das Bundesverfassungsgericht im April 2016 das bisherige BKA-Gesetz. Die Bundesregierung erließ eine neues, und darauf reagieren nun die Länder. In unserem ersten Artikel dazu beschreiben wir die politischen und juristischen Hintergründe, in diesem Text gehen wir ins Detail. Denn manche Länder ändern ihre Gesetze nur geringfügig, andere wiederum unterziehen sie einer Generalüberholung. Was sich in deinem Bundesland am Polizeigesetz ändert, liest du in unserer Übersicht. Sie ist alphabetisch sortiert“ – so beginnt die Darstellung „Welche Rechte die Polizei in deinem Bundesland bekommt – der Überblick“ von Tobias Eßer, Josa Mania-Schlegel und Erik Koszuta am 09. Mai 2018 im Krautreporter externer Link (Abo), worin die Maßnahmen in den einzelnen Bundesländern ausführlich dokumentiert sind. Siehe dazu auch unsere Länder-Dossiers (ganz unten) und hier weitere Überblicksartikel:

  • Scharfe Töne gegen Klimaprotest: Die Innenminister:innen machen die „Letzte Generation“ zum Thema ihrer Konferenz – und prüfen, ob sie ihre Polizeigesetze verschärfen New
    Die Klimaaktivist:innen der Letzten Generation machen eine Woche Protestpause, die politische Debatte über die Gruppe aber läuft weiter – umso mehr nach der Flughafenbesetzung in Berlin. Nun wird der Protest auch Thema auf der am Mittwoch beginnenden Innenministerkonferenz (IMK) in München. Straftaten wie die Straßenblockaden seien „nicht hinnehmbar“, erklärte Bayerns Innenminister und IMK-Gastgeber Joachim Herrmann (CSU) am Montag. „Das ist kein legitimes Mittel des Protests.“ Darüber sei man sich „über Parteigrenzen hinweg“ einig. Herrmann kündigte an, man werde „mit allen rechtlichen Möglichkeiten solche Taten strafrechtlich verfolgen, aber auch präventive Maßnahmen ergreifen“, um andere Bürger:innen vor den Protesten zu „schützen“. Was das heißt, machte Bayern zuletzt bereits vor: Es steckte knapp 20 Blockierer:innen fast einen Monat lang in Präventivgewahrsam. Erst am Samstag kamen sie wieder frei. Auch Herbert Reul (CDU), Innenminister von NRW, sagte der taz, friedlicher Klimaprotest an sich sei „völlig legitim und verständlich“. „Gleichzeitig sehen wir neue Gruppen, die offenbar anderes im Sinn haben und Straftaten begehen, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu erzeugen“, so Reul. „Davon darf sich der Staat nicht unter Druck setzen lassen, sondern muss genauso konsequent dagegen vorgehen wie sonst auch.“ Ebenfalls Druck macht Berlin…“ Artikel von Konrad Litschko vom 28.11.2022 in der taz online externer Link,  siehe zum Hintergrund:

  • Reformen im Polizeirecht: Bolzplätze als Sicherheitsrisiko 
    „… Traditionell setzen präventive Eingriffsbefugnisse eine konkrete Gefahr voraus. In den vergangenen Jahren wurde diese Schwelle für die Polizeibehörden in Bund und Ländern jedoch zusehends abgesenkt – immer mehr ist auch angesichts der teils weitreichenden Einführung erweiterter Kompetenzen eine Vernachrichtendienstlichung ihrer Arbeit zu erkennen. Inzwischen müssen vielfach nur noch tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die die Polizeibehörden zur Annahme bestimmter Tatsachen berechtigen, um auf vielfältige Weise in die Grundrechte von Bürgern eingreifen zu dürfen. Solche Annahmen können z.B. daraus herrühren, dass Betroffene mit bestimmten, ihrerseits verdächtigen Personen verkehren, einschlägige Orte aufsuchen oder ein suspektes (bzw. jedenfalls so interpretierbares) Verhalten an den Tag legen. Einen Schritt weiter geht nun das Land Hessen, das aktuell seine Sicherheitsgesetze novelliert und dabei auf einen in dieser Form bislang ungekannten Fiktionstatbestand zurückgreifen will. (…) Nach der Entwurfsfassung sollen die öffentlich zugänglichen Bereiche von (allen) Flughäfen, Personenbahnhöfen, Sportstätten, Einkaufszentren und Packstationen im Lande stets überwachungsfähig sein. Im Einzelnen wäre dann keine Prüfung mehr erforderlich, ob an dem jeweiligen Ort eine Gefahr vorliegt oder tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass dort Straftaten drohen – vielmehr würden diese, in Hessen tausendfach vorhandenen Stellen mittels einer gesetzlichen Fiktion stets als hinreichend gefährlich bzw. gefährdet gelten. Dass Videoüberwachungen im öffentlichen Raum mit einem nicht unerheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einhergehen, liegt auf der Hand. Für die vorbezeichneten Orte trifft dies in besonderer Weise zu, denn darauf, sie aufzusuchen, kann oft nicht ohne Weiteres verzichtet werden. Flughäfen und Bahnhöfe, vor allem aber Einkaufszentren, Sportstätten und Packstationen sind geradezu typische Orte des Zusammentreffens ganz beliebiger und damit auch nicht typisierbarer Gruppen, deren Überwachung eine schier unbegrenzte Streubreite aufweist. (…) Auf tatbestandlicher Ebene verzichtet die Neuregelung darauf, die Überwachung an reale und nachprüfbare Anhaltspunkte zu knüpfen. Die Polizei wird vielmehr vollständig von einer Prüfung im Einzelfall entbunden, ob die Sicherheitslage diese im Konkreten erfordert. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis von Freiheit und Sicherheit wird damit gleichsam in sein Gegenteil verkehrt. (…) Ohne Zweifel, an der Videoüberwachung von Bolzplätzen und Packstationen in der hessischen Provinz wird sich die Zukunft des Polizeirechts in Deutschland kaum entscheiden. Doch kündigen sich große Veränderungen bekanntlich oftmals im Kleinen an. Deshalb gilt es, die Reformen des Sicherheitsrechts kritisch zu begleiten und Fehlentwicklungen frühzeitig entgegenzuwirken. (…) Neben dem Abschied vom klassischen Gefahrenbegriff, gar dem Verzicht auf irgendeinen tatsächlichen Anknüpfungspunkt, offenbart die hessische Reform auch an anderer Stelle eine strukturelle Fehlentwicklung des Sicherheitsrechts: (…) Sie will der Landespolizei künftig ermöglichen, die Befolgung einer Wohnungsverweisung oder eines Betretungs- bzw. Kontaktverbots durch die verbundene Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung sicherzustellen. Mit anderen Worten: Es soll bei jeder Wohnungsverweisung, jedem Betretungs- oder Kontaktverbot unmittelbar eine Fußfessel angelegt werden können, ohne dass weitere Voraussetzungen (wie etwa eine Negativprognose über das Befolgen der Anordnung) vorliegen müssten. (…) Wird die Fußfessel künftig zum Beispiel im Falle häuslicher Bedrohungslagen statthaft, dürfte alsbald die Frage aufkommen, wieso sie nicht auch bei anderen Formen von Bedrohung, Nötigung oder Gewalt Anwendung finden kann. Ihr Einsatz würde damit endgültig uferlos, das ursprünglich nur im Einsatz bei Terrorverdächtigten für angemessen erachtete Instrument alltagstauglich gemacht. Die Entgrenzung der Gefahrenabwehr manifestiert sich hier auf andere Weise als im obigen Falle der geplanten Videoüberwachungen, im Ergebnis führt sie gleichermaßen zu weitgehend undiskutierten, unreflektierten und vor allem verfassungsrechtlich unausgewogenen Einbußen an Freiheit…“ Gastbeitrag von Prof. Dr. Markus Ogorek vom 17. August 2022 bei Legal Tribune Online externer Link, siehe dazu aktuell:

    • CN: Polizeigewalt! Wir müssen über sogenannte „Schmerzgriffe“ reden. Besonders in Hamburg und Berlin normalisiert sich diese Form von polizeilicher Gewalt insbesondere gegenüber Klimaaktivist*innen. Ohne eindeutige Rechtslage und mit unklaren Folgen für Betroffene. Ein Thread…“ Langer und lesenswerter Thread von Raphael Knipping vom 18.8.22 externer Link
  • [CILIP 127] Am Ende der „neuen deutschen Welle“? Ein Rückblick auf fünf Jahre Polizeirechtsverschärfungen  Deutschland hat aufgerüstet. Am 20. Juli 2021 hat der bayerische Landtag die vorerst letzte Novelle des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) beschlossen und damit den vorläufigen Schlusspunkt in einer Reihe von Polizeirechtsverschärfungen gesetzt, die 2017 ihren Anfang nahm. Zeit für einen Rückblick. (…) Auch nach dem vorläufigen Ende der „neuen deutschen Welle“ bleibt das Polizeirecht gewohnt uneinheitlich. Weiterhin kennt knapp ein Drittel der Bundesländer keine Befugnisse zur Anordnung von Aufenthaltsgeboten oder „elektronischen Fußfesseln“. In anderen Bundesländern ist die die „drohende Gefahr“ als Voraussetzung auf den Einsatz der Befugnisse zur „Gefährder“-Bekämpfung oder verdeckte Überwachungsmaßnahmen zur Abwehr von Straftaten erheblicher Bedeutung beschränkt. Einzig Bayern hat mit der neuen Gefahrenkategorie die Eingriffsschwelle auch bei zahlreiche polizeilichen Standardmaßnahmen weitreichend abgesenkt.
    Auch die Befugnisse zum Einsatz von Kriegswaffen, Drohnen oder „intelligenter“ Videoüberwachung bleiben im Ländervergleich die Ausnahme. Fast vollständig durchgesetzt hat sich hingegen der Einsatz von „Tasern“ und Bodycams – und der Beschaffungsapparat läuft auf vollen Touren. Demgegenüber nehmen sich die wenigen Lichtblicke bescheiden aus:Bremen,Hessen und Berlin richten unabhängige Polizeibeschwerdestellen ein. In der kleinen Hansestadt soll zudem die polizeiliche Kennzeichnungspflicht kommen, und die Polizei wurde verpflichtet, bei Personenkontrollen Kontrollquittungen auszustellen. Parallel zur Ausdifferenzierung der landesgesetzlichen Regelungen hat auch die Diskussion um einen „Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes“ neue Fahrt aufgenommen. (…)
    Dass die im Zuge der Polizeirechtsnovellen erfolgte Stärkung externer Kontrolle und des individuellen Rechtsschutzes dem Ausbau polizeilicher Machtbefugnisse angemessen Paroli bieten kann, ist zu bezweifeln. Wenig ermutigend jedenfalls die Erkenntnisse zur Anwendungspraxis von Richtervorbehalten. Gleiches gilt vermutlich auch für die neuen Mitteilungspflichten gegenüber Betroffenen, die wie üblich unter den bekannten Sicherheitsvorbehalten stehen. (…)
    Zivilgesellschaftliche Kräfte sind regelmäßig mit der Herausforderung konfrontiert, dass sich für innenpolitische Themen mangels einfacher Bilder und eindeutiger Positionierungen im Diskurs (wer ist schon gegen „mehr Sicherheit“?) nur schwer mobilisieren lässt. Im Fall der verschärften Polizeigesetze ist es jedoch gelungen, unterschiedliche Spektren – Bürgerrechts-NGOs, der Klimabewegung, Fußballfans, Gewerkschaften, politischen Parteien und die radikale Linke – zusammenzuführen (…)
    Fazit
    Kern der „neuen deutschen Welle“ im Polizeirecht war die Ausweitung polizeilicher Befugnisse und die Aufweichung der dafür notwendigen Voraussetzungen. Anstatt einer objektiven Gefahr werden (vermeintliche) „Gefährder“, also Personen, welche die Polizei für gefährlich hält, in den Fokus staatlichen Handelns gerückt.[41] Die Reformen folgen damit dem bekannten Argumentationsmuster: immer neue Eingriffsbefugnisse sollen nötig sein, um die „innere Sicherheit“ gegen ihre Feind*innen verteidigen zu können. Wer erwartet, dass im Gegenzug zur Ausweitung polizeilicher Kompetenzen wirksame Mechanismen zur Kontrolle der Anwendung dieser Befugnisse geschaffen würden, wird enttäuscht.“ Artikel von Eric Töpfer und Marius Kühne vom 8. Dezember 2021 aus der CILIP 127 externer Link – siehe das geanze, empfehlenswerte Heft 127 vom Dezember 2021: Polizeirecht – Entgrenzung und Protest externer Link
  • Neues zu den Polizeigesetzen 
    Berlin legte im Juni als erstes Bundesland einen Entwurf für ein neues Polizeigesetz vor, das vor allem bestehende Befugnisse einschränkt und langjährige Forderungen von benachteiligten Gruppen aufgreift. Dazu gehören die teilweise Streichung eines Absatzes, der Racial Profiling begünstigt und ein Wahlrecht zum Geschlecht der Beamt*in bei einer Durchsuchung am Körper. Außerdem soll die Höchstdauer der Präventivhaft in der Hauptstadt von vier auf maximal zwei Tage herabgesetzt werden. Zugleich sollen zwei neue Überwachungswerkzeuge eingeführt werden: das Filmen mittels Bodycam und das Abhören von Telefongesprächen im präventiven Bereich. Die rot-rot-grüne Landesregierung hat sich damit bewusst entschieden, einen „Gegenentwurf zum bayerischen Polizeiaufgabengesetz“ zu bieten. Ähnlich sieht es in Bremen aus…“  Beitrag von Marie Bröckling vom 10. August 2020 bei CILIP externer Link auch zu Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg
  • Das Jahr 2018 stand ganz im Zeichen der bundesweiten Proteste gegen die Polizeigesetze. Und 2019? Es ist leiser geworden um noPAG, noPolGNRW & Co. Aber das Biest lebt! 
    Wir blicken zurück auf die Proteste, geben einen kurzen Überblick über Erfolge und Niederlagen unseres Widerstands und eine Vorschau auf die Schrecken, die sich am Horizont der Inneren Sicherheit abzeichnen. Außerdem erklären wir, warum die Bewegung gegen die Polizeigesetze auf keinen Fall sterben darf – und warum sie sich neuen Themen wie Klimaschutz, Antifaschismus und Antirassismus widmen muss. Auf dem 3C35 rief Constanze Kurz dazu auf, auch 2019 gegen die bundesweit erfolgenden Verschärfungen der Polizeigesetze vorzugehen. Und tatsächlich sind dieses Jahr viele Menschen gegen die Gesetzesnovellierungen auf die Straße gegangen – aber das eigentliche Jahr der Proteste war 2018. Trotz der über Monate anhaltenden Demonstrationen und Aktionen in der gesamten Republik sind die Novellierungen in den wenigsten Bundesländern zurückgenommen wurden, und dort, wo Gesetzespassagen gestrichen und geändert wurden, handelte es sich meist um kosmetische Korrekturen. Dem allgemeinen Trend hin zu einer autoritären Wende in Sachen Innerer Sicherheit hat das keinen Abbruch getan, so unsere Ausgangsthese. Gleichzeitig sind viele der Bündnisse zerfallen, die Demonstrationen kleiner geworden, und auch der Großteil der Presse schenkt Polizei- und Sicherheitsgesetzen nur noch gelegentlich Aufmerksamkeit. Dabei kann die Bedeutung der Debatte um eine angebliche Versicherheitlichung unserer Gesellschaft gar nicht hoch genug bewertet werden: Es gibt starke Anzeichen dafür, dass die Institution Polizei, aber auch Militär und private Sicherheitsdienste, immer mehr an Macht gewinnen – was nicht zuletzt mit Blick auf die zahlreichen Skandale der letzten Monate und die Frage, wie strukturell rechts diese Institutionen eigentlich sind, von immenser gesellschaftlicher Tragweite ist. Und auch wenn politischer Protest häufig aufmerksamkeits-ökonomischen Logiken unterworfen ist, glauben wir, dass das Zerfallen der Bündnisse gegen die Polizeigesetze besonders bedauerlich ist. Zum ersten Mal seit langem nämlich sind hier Gruppen Seite an Seite auf die Straße gegangen, die lange Zeit nicht gemeinsam im Widerstand waren: Datenschützer*innen und Fußballfans, linksliberale Parteien und Antifaschist*innen, soziale Bewegungen und migrantische Organisationen – Gruppen, deren gegenseitige Solidarität großer Gewinn und wichtige Voraussetzung für erfolgreiche emanzipatorische Politik ist. Was sind also die großen Herausforderungen in Sachen Innere Sicherheit, die auf uns warten? Was haben die Polizeigesetze mit Racial Profiling, Ende Gelände und NSU 2.0 zu tun? Warum brauchen wir auch weiterhin die im Zuge der Proteste entstandenen Allianzen zwischen Datenschützer*innen und anderen sozialen Bewegungen? Und welche Themen müssen wir in den Blick nehmen, wenn wir verstehen wollen, was autoritäre Wende heißt? Die Referent*innen kommen selbst aus unterschiedlichen linken sozialen Bewegungen und haben sich im Zuge der Proteste gegen das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz im noPAG-Bündnis kennengelernt. Laura Pöhler ist Antifaschistin und Sprecherin des noPAG-Bündnisses. Johnny Parks war in der noPAG-Jugend aktiv, ist Pressesprecher für Ende Gelände und engagiert sich als PoC gegen Rassismus. Sie beide kämpfen für eine Rücknahme der Gesetzesnovellierungen in Bayern. Die Idee, gemeinsam beim CCC-Kongress zu sprechen, entsprang nicht zuletzt dem Wunsch, im Kontakt mit denjenigen Menschen zu bleiben, welche die Proteste gegen das PAG maßgeblich mitgestaltet haben: Datenschützer*innen.“ Audio und Video des Vortrags von Laura Pöhler and Johnny Parks am 28.12.2019 beim 36c3 externer Link
  • Schwere Eingriffe in die Grundrechte. Trotz Protesten konnten die Polizeirechtsverschärfungen bislang nicht gestoppt werden 
    Der Trend in Richtung eines präventiven Sicherheitsstaats ist nicht neu: Schon seit 9/11 befindet sich die Polizei in Bund und Ländern im Zuge einer ausufernden Sicherheits- und Antiterrorpolitik in einem tief greifenden Strukturwandel. Vorverlagerung präventiver Polizeiaufgaben, Ausbau geheimer Polizeibefugnisse, Vernetzung und Überwindung der Grenzen zwischen Polizei und Geheimdiensten sind die kennzeichnenden Stichworte. Dieser Trend einer strukturellen Entgrenzung polizeilicher Aufgaben und Befugnisse geht einher mit einem starken Ausbau staatlicher Kontrolldichte und einem Zuwachs an Polizeimacht. Und seit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche Ende 2016 überschlagen sich die Aufrüstungsforderungen in Bund und Ländern noch – obwohl doch gerade hier eklatante Fehleinschätzungen und Vollzugsdefizite der Sicherheitsbehörden zutage traten. Statt einer überfälligen Evaluierung bislang angehäufter Sicherheitsgesetze und ihrer Umsetzung – und einer Nachjustierung, wo nötig – wurden 2018/19 mit einer Welle von Polizeirechtsverschärfungen in Bund und Ländern gravierende Befugniserweiterungen durchgesetzt: so der Ausbau staatlicher Videoüberwachung im öffentlichen Raum, Aufrüstung der Polizei mit Bodycams und gefährlichen Elektroschockern (Taser), Einführung »elektronischer Fußfesseln« zur Aufenthaltskontrolle mutmaßlicher »Gefährder«, Ausweitung der Präventivhaft sowie Einschleusung von Staatstrojanern in Computer und Smartphones zur Ausforschung potenziell verdächtiger Personen. Mit der nun gesetzlich zulässigen Onlinedurchsuchung per Staatstrojaner bricht der Staat unter relativ vagen Eingriffsvoraussetzungen massiv in Privat- und Intimsphäre, Persönlichkeitsrechte und informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen ein. Mithilfe heimlich installierter Staatstrojaner kann die Polizei auf Telekommunikation, gespeicherte Festplatteninhalte, intimste Informationen, Fotos und Filme zugreifen. Es handelt sich um einen schweren Grundrechtseingriff, einen Einbruch in alle Lebensbereiche bis hinein in Gedanken- und Gefühlswelten der Betroffenen und ihrer Kontaktpersonen, aber auch von unbeteiligten Dritten. Staatstrojaner, die über Sicherheitslücken in Software eingeschleust werden, öffnen darüber hinaus Missbrauch und gefährlichen Cyberattacken Tür und Tor (…) Mit diesen Gesetzesverschärfungen haben Bund und Länder einen weiteren, verfassungsrechtlich hoch problematischen Schritt in Richtung präventiv-autoritärer Sicherheitsstaat zurückgelegt – unter Ausbau des Überwachungspotenzials, das demokratisch kaum noch kontrollierbar ist, das die Grund- und Freiheitsrechte massiv beschränkt und auch Unbeteiligte und die Gesellschaft nicht verschont. Mit der präventiven Vorverlagerung von Polizeiaufgaben und geheimer Befugnisse weit ins Vorfeld eines Verdachts oder einer möglichen Gefahr verkehren sich die Beziehungen zwischen Bürger und Staat: Die Unschuldsvermutung, eine der wichtigsten rechtsstaatlichen Errungenschaften, verliert ihre Staatsmacht­ begrenzende Funktion. Der Mensch mutiert zum potenziellen Sicherheitsrisiko, der letztlich unter Umkehr der Beweislast seine Harmlosigkeit und Unschuld nachweisen muss. Es dürfte zu bezweifeln sein, dass mit den neuen Polizeieingriffen mehr Sicherheit vor Gewalt, Amok und Terror geschaffen werden kann. (…) Zwar lässt sich die Mehrheit der Bevölkerung durch unhaltbare Sicherheitsversprechen der Regierungspolitik immer wieder beschwichtigen – besser gesagt: hintergehen. Dennoch regten sich gegen die Gesetzesverschärfungen starke Kritik und heftiger Protest…“ Artikel von Rolf Gössner vom 23.12.2019 beim ND online externer Link
  • Weitere Attacken auf Grundrechte geplant – Verschärfung der Polizeigesetze in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg
    „Die Landesregierungen von Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg wollen ihre Repressionsmöglichkeiten erweitern. Dagegen wollen an diesem Sonntag mittag Aktivistinnen und Aktivisten in Mecklenburg-Vorpommern erneut auf die Straße gehen. Das »Bündnis gegen die Verschärfung des SOG in MV« (Sicherheits- und Ordnungsgesetzes) kritisiert unter anderem, dass der vorliegende Entwurf »unklare Formulierungen« enthalte. Dies lasse der Polizei »eine Menge Spielraum«. (…) Bereits am 22. August soll der vorliegende Gesetzesentwurf aus dem Hause von Landesinnenminister Lorenz Caffier (CDU) im Innenausschuss des Schweriner Landtages diskutiert werden. Auch in Hamburg nehmen die politischen Auseinandersetzungen um die dort geplanten Verschärfungen zu. Am Mittwoch diskutierte die Bürgerschaft der Hansestadt über den entsprechenden Gesetzesentwurf der Regierungskoalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Am 20. August soll sich der Innenausschuss der Bürgerschaft mit dem Entwurf befassen. An dem sei unter anderem der geplante Paragraph 49 »bemerkenswert«, wie das Internetportal Netzpolitik.org am Mittwoch berichtete. Denn dadurch werde der Polizei die »automatisierte Datenanalyse im großen Stil« erlaubt. »Bereits erhobene Daten sollen demnach automatisiert und ohne Anlass nach ihren Zusammenhängen« ausgewertet werden. Das Ergebnis der Datenanalyse, »beispielsweise eine vermeintlich risikobehaftete Person«, würde dann den Ausgangspunkt für weitere Ermittlungen liefern. Besagte Pläne dürften vor allem mit Blick auf die Verfolgung von Gegnerinnen und Gegnern des G-20-Gipfels in Hamburg von Bedeutung sein. (…) In Sachsen-Anhalt droht unterdessen aktuell eine weitreichende Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes. (…)Vor allem Messengerdienste und Onlinekommunikation sollen zukünftig intensiv überwacht werden dürfen. Zudem enthält der Entwurf die »gesetzgeberische Klarstellung, dass Prävention und Wirtschaftsschutz eigenständige Aufgaben des Verfassungsschutzes« seien.“ Beitrag von Markus Bernhardt bei der jungen Welt vom 16. August 2019 externer Link
  • Musterpolizeigesetz – Verschärfung des Polizeigesetzes nach den Ländern auch auf Bundesebene? 
    Nur wenige wissen, dass die Innenministerkonferenz der Länder (IMK) vor zwei Jahren beschlossen hat, ein Musterpolizeigesetz zu schaffen. Ziel soll sein, die Polizeigesetze der Bundesländer einander anzugleichen. Kommt also nach den Verschärfungen der Polizeigesetze in Bayern, NRW und anderen Bundesländern demnächst auch mehr Überwachung und Repression auf Bundesebene? Die Folge wären Einschränkungen von Grundrechten wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Persönlichkeitsrechten und Bewegungsfreiheit. Noch bevor das Musterpolizeigesetz groß diskutiert wird, haben wir uns ratzfatz die Domain gesichert und ein kritisches Infoportal aufgebaut.“ Info-Seite zum Musterpolizeigesetz von und bei Digitalcourage e.V. externer Link
  • Verschärfung der Polizeigesetze: Wenn schon die Gefahr einer Gefahr ausreicht
    Über viele Jahrzehnte hinweg markierte die „konkrete Gefahr“ die Schwelle zum Einschreiten für die Polizei. Doch in den vergangenen Jahren gab es eine regelrechte Reformwelle der Polizeigesetze. In einigen Gesetzen entdeckt man einen Hang zur Maßlosigkeit. Wer mit liberalem Rechtsstaatsdenken sozialisiert ist, staunt beispielsweise nicht schlecht angesichts mancher Pläne zur Präventivhaft. Die markanteste Veränderung ist allerdings die schleichende Metamorphose der „Gefahr“. (…) Die Polizei habe die Bürger vor konkreten Gefahren zu schützen, nicht vor verbauter Aussicht. Das Kreuzbergurteil vom 14. Juni 1882 gilt als Grundstein eines modernen Polizeirechts, das der Polizei rechtsstaatliche Grenzen setzt. Sie soll für die Sicherheit der Bürger sorgen und nicht allgemeine „Wohlfahrtspflege“ betreiben, zu der irgendwie alles gehört. Auch die Aussicht in Kreuzberg. Die „konkrete Gefahr“, die fortan die Schwelle zum polizeilichen Einschreiten markieren sollte, war so etwas wie der kurze Zügel des Rechtsstaats. Keine andere Staatsgewalt kann so tief in die Grundrechte der Menschen eingreifen wie die Polizei – von der Überwachung bis zur Festnahme -, deshalb sollte die Macht der Beamten strikt auf das Notwendige begrenzt sein. Jeder wünschte sich Sicherheit durch die Polizei, gewiss. Aber man wollte eben auch Sicherheit vor der Polizei; die Angst vor dem Obrigkeitsstaat war nie ganz weg. Das ist der Hintergrund, vor dem man die Proteste der vergangenen Monate betrachten muss. In Bayern, in Nordrhein-Westfalen, in Niedersachsen, in Brandenburg – landauf, landab haben Bürger gegen die neuen Polizeigesetze der Länder demonstriert. Denn es schwappt eine regelrechte Reformwelle durch die Republik. (…) Die Kritiker warnen vor allzu niedrigen Hürden für heimliche Überwachung oder gar für polizeilichen Gewahrsam. Denn die preußische Klarheit ist dahin, spätestens seit Bayern die „drohende Gefahr“ ins Polizeigesetz aufgenommen hat, einen verwaschenen Begriff, der nach mehr klingt, als er bedeutet – wann wäre eine Gefahr nicht „drohend“? Auch NRW hatte den Terminus anfänglich im Gesetzentwurf, strich ihn aber wegen rechtlicher Bedenken. In Wahrheit begann die schleichende Begriffsverschiebung schon sehr viel früher. Matthias Bäcker, Jura-Professor in Mainz, erinnert daran, dass bereits seit den Siebzigerjahren Befugnisse etwa zur Identitätsfeststellung oder zum Einsatz verdeckter Ermittler geschaffen worden seien. Und in den Neunzigern folgten Wohnraumüberwachung oder Rasterfahndung. Terrorismus und organisierte Kriminalität hatten die Sicherheitslage verändert – oder wenigstens deren Wahrnehmung. Die Polizei sollte nicht mehr auf die „konkrete Gefahr“ warten. Sie sollte sich aktiv auf die Suche nach dem Risiko machen. (…) In einigen Gesetzen entdeckt man einen Hang zur Maßlosigkeit. Bayern etwa sieht einen Einsatz von „Explosivmitteln“ vor. (…) Maßlos sind auch die Pläne diverser Länder zur sogenannten Präventivhaft. Bayern sieht einen dreimonatigen – und theoretisch unendlich verlängerbaren – Gewahrsam vor, und zwar bereits zur Abwehr einer Gefahr für „Sachen, deren Erhalt im besonderen öffentlichen Interesse liegt“. In Niedersachsen beträgt die geplante Höchstdauer 74 Tage, statt bisher zehn Tage. (…) Doch so waffenklirrend all die neuen Polizeibefugnisse daherkommen, die auf lange Sicht markanteste Veränderung ist die schleichende Metamorphose der „Gefahr“. Der Fokus liegt inzwischen nicht mehr so sehr auf dem angeblich drohenden Ereignis, sondern auf der Kontrolle der „Gefährder“…“ Artikel von Wolfgang Janisch vom 18.02.2019 bei der Süddeutschen Zeitung online externer Link
  • Ermächtigende Gesetze 
    „In nahezu allen Bundesländern erhält die Polizei per Parlamentsbeschluss weitreichende Befugnisse. Grundrechte werden damit weiter eingeschränkt, mehr Sicherheit wird aber nicht geschaffen. In den vergangenen Monaten haben wir nicht nur Bestrebungen nahezu aller Landesregierungen zur Verschärfung der Polizeigesetze erlebt, sondern in deren Folge auch eine beeindruckende zivilgesellschaftliche Gegenbewegung. Ein kurzer Überblick darüber, worum es in der großen Polizeirechtsreform geht, vor welchen gesellschaftlichen Hintergründen sie stattfindet und wie es aktuell um sie steht. (…) Was sich momentan abspielt, ist hingegen in zweierlei Hinsicht außergewöhnlich. Erstens ist die föderalistische Auffächerung der Polizeigesetze deutschen Sicherheitspolitikern schon lange ein Dorn im Auge. Die gegenwärtigen, in ihrem flächendeckenden Ausmaß bemerkenswerten Reformbestrebungen müssen als Versuch verstanden werden, das Sicherheitsrecht zu vereinheitlichen und die nach 1945 aus guten Gründen eingeführte Dezentralisierung teilweise rückgängig zu machen. Zweitens finden auch inhaltlich fundamentale Umwälzungen statt. Trotz erheblicher regionaler Unterschiede lassen sich hier drei übergreifende Schwerpunkte herausstellen: das Herabsetzen der Voraussetzungen polizeilichen Eingreifens, die Ausweitung freiheitsentziehender Maßnahmen und die Zunahme der Befugnisse insbesondere hinsichtlich verdeckter technischer Überwachung. Diese Hinwendung zu einem autoritären und illiberalen Staatsverständnis ist zwar nicht gänzlich neu, sondern vollzieht sich schrittweise schon seit Jahren. Die geplanten ausufernden Ermächtigungen haben aber dazu beigetragen, genau diese Entwicklung sichtbar zu machen. (…) Glücklich wird damit wohl niemand werden. Denn anders als es die oft bemühte Floskel vom Ausgleich von Sicherheit und Freiheit suggeriert, führen die mit den Polizeigesetzen eingeführten Maßnahmen nicht zu mehr Sicherheit. Wie die NSU-Mordserie und der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt gezeigt haben, ist die Verhinderung solcher Taten keine Frage der Befugnisse. Die Behörden verfügen längst über die rechtlichen und technischen Mittel, unsere physische Sicherheit zu gewährleisten. Dass die vorgeschlagenen Maßnahmen, empirisch betrachtet, nicht zu einer Verbesserung der Sicherheitslage oder einem Rückgang der Kriminalität führen werden, das wissen auch die Innenminister und Polizeifunktionäre. Solange damit das Dogma der Sicherheit bedient wird, kann aber so vermieden werden, sich um die wirklichen Probleme zu kümmern.“ Beitrag von Benjamin Derin in der jungen Welt vom 13. Oktober 2018 externer Link (Benjamin Derin ist Rechtsanwalt und Redaktionsmitglied der Zeitschrift Bürgerrechte und Polizei/Cilip)
  • Neue deutsche Welle: Zum Stand der Polizeigesetzgebung der Länder 
    „Im April 2017 verabschiedete der Bundestag ein neues BKA-Gesetz. Jetzt ziehen die Länder nach. Das einzig Positive an dieser Entwicklung: Erstmals seit Jahrzehnten regt sich breiterer Widerstand. 40.000 Leute demonstrierten am 10. Mai 2018 gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz, 20.000 gingen am 7. Juli 2018 gegen das nordrhein-westfälische Polizeigesetz auf die Straße. Von den Gesetzen über das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei abgesehen ist das Polizeirecht in Deutschland Ländersache. Obwohl der Bund hier also nichts zu husten hat, kündigten CDU, CSU und SPD im Februar 2018 in ihrem Koalitionsvertrag die „Erarbeitung eines gemein­samen Musterpolizeigesetzes (gemäß Innenministerkonferenz)“ an. Die in die Klammer verbannte Innenministerkonferenz (IMK) hatte bereits im Juni 2017 beschlossen, eine „länderoffene Arbeitsgruppe unter Beteiligung des Bundesinnenministeriums“ für die Erarbeitung eines solchen Musters einzurichten, um „hohe gemeinsame gesetzliche Standards und eine effektive Erhöhung der öffentlichen Sicherheit zu erreichen“. Seit Jahrzehnten sieht die IMK die Vereinheitlichung des Polizeirechts der Länder als ihre Aufgabe. Dafür hat sie bereits in den 1970er Jahren und dann erneut 1986 „Musterentwürfe für ein einheitliches Polizeigesetz“ vorgelegt, die nicht nur eine Vereinheitlichung, sondern vor allem eine massive Ausdehnung der polizeilichen Aufgaben und Befugnisse brachten…“ Beitrag von Heiner Busch vom 14. August 2018 in Clip 116 externer Link
  • Vorverlagerung von Eingriffsbefugnissen: Die „drohende Gefahr“ in Polizeigesetzen 
    „… Zwei neue juristische Stellungnahmen setzen sich mit den umstrittenen Überarbeitungen von Polizeigesetzen in Deutschland auseinander. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags gehen der Frage nach, ob das umstrittene bayerische Polizeigesetz eine Vorlage für eine bundesweite Angleichung in einem Musterpolizeigesetz sein könnte. Die Neue Richtervereinigung (NRV) untersucht am Beispiel der Polizeigesetznovelle in Brandenburg einen zentralen Aspekt der Reformen: die Einführung einer neuen Gefahrenkategorie ins Polizeirecht. Dabei geht es um die Rechtsbegriff der „drohenden Gefahr“, der nicht nur im geplanten Polizeigesetz Brandenburg Konjunktur hat. Der Bericht der Bundestagswissenschaftler zur rechtlichen Bewertung der „Ausweitung polizeilicher Befugnisse in Deutschland und Europa“ (pdf) widmet sich drei besonders umstrittenen Bereichen, bei denen zu befürchten ist, dass sie bundesweit Eingang in die Polizeigesetzgebung nehmen: Die Frage, wie konkret oder vage eine Gefahr sein muss, damit die Polizei Menschen überwachen oder festsetzen darf. Damit verbunden wird die Präventivhaft diskutiert, die in Bayern erstmals keine feste zeitliche Obergrenze hat. Ob ein solcher potentiell unbegrenzter Freiheitsentzug bei einer polizeilichen Präventivhaft verhältnismäßig ist, bewerten die Bundestagswissenschaftler in einem zweiten Teil mit kritischem Blick. Der dritte Bereich ist dann die Gendatennutzung, die in Form der Erweiterten DNA-Analyse in das bayerische Polizeigesetz Einzug gehalten hat. In einem letzten Teil des Berichts sind vergleichend sehr kurze Zusammenfassungen der polizeilichen Befugnisse in anderen europäischen Staaten erfasst….“ Beitrag von Constanze Kurz vom 8. August 2018 bei Netzpolitik externer Link mit Links u.a. zur Stellungnahme der Neuen Richtervereinigung (NRV) und des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen
  • Übersicht Polizeigesetze: Bündnisse unterstützen! 
    „Trotz der niedrigsten Kriminalitätsrate seit 25 Jahren verschärfen fast alle Bundesländer ihre Polizeigesetze. In Bayern wurde das schärfste Polizeigesetz seit 1945 bereits verabschiedet, andere Länder diskutieren ähnliche Gesetze in den Landtagen oder haben Pläne angekündigt. Aufgerüstet sollen die Polizeien werden unter anderem mit Staatstrojanern (unsere Verfassungsbeschwerde gegen die Bundestrojaner unterstützen), präventiven Maßnahmen, Handgranaten und Maschinengewehren. (…) Parteilinien existieren nicht: Angetrieben oder kritisiert wird die Polizeiverschärfung von AfD, CDU/CSU, FDP, Grünen und SPD – je nach politischer Rolle in der Regierung oder der Opposition. Lediglich die rot-rot-grüne Koalition in Thüringen macht nicht mit. Die gute Nachricht ist: Fast überall werden Menschen aktiv und gründen Bündnisse, um Freiheit und Grundrechte gegen den Ausbau zum Polizeistaat zu verteidigen. Unterstützung ist willkommen!..“ Aufruf von Justus Holzberger und Friedemann Ebelt vom 25. Juni 2018 bei digitalcourage externer Link mit Übersicht zum Stand der Polizeigesetze in den Bundesländern
  • Appell gegen Polizeigesetze und innere Aufrüstung 
    Die deutsche Innenpolitik legt mit einer unverhältnismäßigen Aufrüstung der Exekutive und mit Überwachungsgesetzen der demokratisch erstritten Freiheit, Sicherheit und den Bürgerrechten schwere Ketten an. Die Unterzeichnenden dieses Appells fordern grüne, liberale und sozialdemokratische Abgeordnete im Deutschen Bundestag und den deutschen Landtagen auf: Hören Sie auf die Appelle und Warnungen der Bürgerrechtsbewegung und der  Bürgerrechtsflügel ihrer Parteien! Deutschland braucht Freiheits- statt  Überwachungsgesetze!“ Appell an FDP, Grüne und SPD von und bei Digitalcourage externer Link, dort im Wortlaut und zum Mitzeichnen
  • Sicherheitspolitik: Bayern als Vorbild [Neu: Rheinland-Pfalz und Saarland] 
    Neben Bayern planen auch die anderen Bundesländer neue Polizeigesetze. Nicht alle gehen dabei so weit wie der Freistaat. (…) Rheinland-Pfalz: Die Ampel-Regierung aus SPD, FDP und Grünen will voraussichtlich nach der Sommerpause eine Novelle zum Polizeigesetz vorlegen, die neben dem Datenschutz und den Anpassungen zum BKA-Gesetz auch eine neue Zuverlässigkeitsprüfung für Mitarbeiter bei staatlichen und privaten Veranstaltungen vorsieht. Anlass dafür war ein Zwischenfall beim Musikfestival Rock am Ring 2017, wo zwei den Behörden nicht gemeldete Syrer als Helfer eingesetzt waren und das Festival deshalb wegen Terrorverdachts unterbrochen wurde. Saarland: An der Saar steht frühestens in der zweiten Jahreshälfte eine umfangreichere Reform an. Polizisten sollen Veranstaltungen und Versammlungen mehr als bisher per Video überwachen und Einsätze mit Bodycams aufzeichnen dürfen. Die große Koalition in Saarbrücken hatte sich zudem auf die Einführung einer Quellen-TKÜ, also das Hacken und Mitlesen laufender elektronischer Kommunikation, verständigt. Gefährder sollen künftig mit Fußfesseln elektronisch überwacht und Autokennzeichen automatisch erfasst werden…“ Überblicks-Artikel von SZ-Autoren vom 24. Mai 2018 bei der Süddeutschen Zeitung online externer Link
  • Protest nicht nur in Bayern: Peter Schaar über den Widerstand gegen Polizeigesetze 
    Was uns als vermeintliche Verbesserung der Sicherheit verkauft wird, hält einer kritischen Prüfung oft nicht stand. Wir sprechen mit Peter Schaar über den Wettlauf um das härteste Polizeigesetz, die überfällige Protestwelle dagegen und warum in Bremen die Debatte um das Polizeigesetz anders verlief als in Bayern. Der überraschend große Protest gegen das Polizeiaufgabengesetz in Bayern war Anlass für ein Gespräch mit Peter Schaar. Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte und Sachbuchautor hatte in seinem Buch „Trügerische Sicherheit“ analysiert, wie sich die Terrorangst auf grundlegende Bürger- und Freiheitsrechte auswirkt und wie intensive Grundrechtseingriffe durch die Große Koalition („GroKo“) in der vergangenen Legislaturperiode damit gerechtfertigt wurden. Ob diese Gesetze tatsächlich für mehr Sicherheit sorgen, ist aber alles andere als bewiesen. Widerstand gegen diese Entwicklung regte sich in den letzten Jahren wenig, was sich nun zu ändern scheint: Anders als in Bayern wurde die Novellierung des Polizeigesetzes in Bremen nach Protesten vorerst gestoppt…“ Interview von Constanze Kurz vom 20.05.2018 bei Netzpolitik externer Link
  • Die niedrigste Kriminalitätsrate seit 25 Jahren – und trotzdem überall schärfere Polizeigesetze
    Die Kriminalstatistik berichtet von einer sinkenden Zahl an Einbrüchen, Diebstählen und Gewaltverbrechen. Trotzdem erhält die Polizei immer mehr Technik und Befugnisse. Warum eigentlich? Bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme führen uns die Statistik und neue Polizeigesetze in die Irre. Aus Behördensicht ist Deutschland so sicher wie schon seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr. Die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) weist alle bei der Polizei registrierten Straftaten aus. Deren Zahl war 2017 nach heutiger Verlautbarung des Bundesinnenministeriums mit 5,8 Millionen angezeigten Straftaten so niedrig wie seit 1992 nicht mehr. Im Vergleich zum Jahr davor sank die Kriminalitätsrate um fünf Prozent. Die Aufklärungsquote erreicht mit 55 Prozent sogar den höchsten Wert seit Einführung der entsprechenden Angabe im Jahr 2005. Sogar Bundesinnenminister Horst Seehofer sagt, dass Deutschland im Verhältnis zur Bevölkerungszahl nie weniger Kriminalität aufwies. Dennoch drängen er und viele Landespolitiker auf eine immer weitere Ausweitung der Polizeibefugnisse…“ Artikel von Alexander Fanta und Marie Bröckling vom 08.05.2018 bei Netzpolitik externer Link
  • Innere Unsicherheit: In mehreren Bundesländern darf die Polizei zur Abwehr von Gefahren immer früher eingreifen. Diese Art von Prävention ist ein Albtraum für den Rechtsstaat
    “… Die Wahrscheinlichkeitsaussage über künftige Entwicklungen ist umso unzuverlässiger, je weiter sie sich von ihrem Anlass entfernt. Je früher also polizeiliche Eingriffe ansetzen, umso häufiger werden sie auch Bürger treffen, von denen tatsächlich keine Gefahr ausgeht. Zugleich wird durch die Verlagerung in das Vorfeld die rechtsstaatlich essenzielle Kontrolle staatlicher Grundrechtseingriffe erheblich erschwert. Je klarer und bestimmter die Grenzen für staatliches Handeln sind, desto besser können Gerichte deren Einhaltung prüfen. Eine weite und vage Kategorie wie die “drohende Gefahr” aber ist nur schwer zu bestimmen und zu überprüfen. (…) Das größte Problem eines solchen Präventionsstrebens ist indes seine potenzielle Grenzenlosigkeit. Ursachen für Gefahren gibt es unendlich viele; und man kann ihnen immer noch früher und immer noch umfassender begegnen. Der nächste Schritt ins Vorfeld ist daher nur eine Frage der Zeit. Die Varianten des “Predictive Policing”, die in den USA praktiziert werden, und das in China eingeführte “Social Scoring” – die permanente Bewertung der Konformität aller Bürger anhand zahlloser Daten über das Sozialverhalten – zeigen, wohin die Reise geht. Ein Staat, der sich auf diesem Weg keine Grenzen setzt, droht selbst zur Gefahr zu werden.” Gastkommentar von Tobias Singelnstein vom 13. April 2018 bei der Süddeutschen Zeitung online externer Link (Tobias Singelnstein ist Professor für Kriminologie an der Ruhr-Universität Bochum)

Siehe auch:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=132107
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