Rechter Vormarsch – Entwicklung und Ursachen

Film „Der marktgerechte Mensch“Mit dem Erstarken der AfD ist ein gewaltiges Netzwerk aus Medien, Thinktanks, Financiers und Veranstaltungen entstanden, die sich alle um ein zentrales Thema drehen: die Einwanderung von Muslimen. Die Rechten zeichnen sie in Zeitschriften und Blogs wahlweise als Bedrohung für die europäische Kultur oder als feindliche Invasoren. Die besonders Extremen unter ihnen wollen die aufgeheizte Stimmung in der Gesellschaft nutzen, um einen „Sturz des Systems“ herbeizuführen. Hunderttausendfach werden ihre Videos geklickt, ihre Artikel gelesen, ihre Bücher gekauft. (…)Im Mittelpunkt der Neuen Rechten steht die AfD: Sie ist der parlamentarische Arm der Bewegung, ihre Politiker vertreten die Ideen der Neuen Rechten auf der Straße, in Kommunen und Ländern und mittlerweile sogar im Bundestag. Die Partei unterhält enge Kontakte ins rechtsradikale Milieu, beschäftigt ehemalige Neonazis und lässt sich von rechten Multimillionären sponsern. Die AfD ist der Nukleus, das Kraftzentrum des Milieus. Vor allem in Berlin, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt haben die Neuen Rechten Strukturen aufgebaut – das zeigt unsere Karte. Im Westen Deutschlands sitzen die Finanziers, alte konservative Denkfabriken und Verlage. In den neuen Bundesländern entstanden in den vergangenen Jahren Kampagnenbüros und Zeitschriften, auch die Aktivisten der Identitären Bewegung und der völkische Flügel der AfD  sind hier stark vertreten. Viele der Führungsfiguren im Osten stammen aus den alten Bundesländern…“ – aus dem Begleittext  „Bis in den letzten, rechten Winkel“ von Christian Fuchs und Paul Middelhoff am 12. Mai 2018 in Zeit Online externer Link, mit dem eine ausführlich recherchierte „Deutschlandkarte“ rechter Netzwerke präsentiert wird. Siehe zum Thema  weitere aktuelle Beiträge, inklusive zu rechten reichen Unternehmern und zum keineswegs stattgefundenen FDP-Fehltritt

  • „Der Rechtsruck und was die Ära Kohl damit zu tun hat“ von Tom Strohschneider am 08. Mai 2018 auf dem Oxi-Blog externer Link zur Frage der Entwicklung in den letzten 30 Jahren: „Auf den ersten Blick bestätigt die Forschung von Krebs und anderen ein Erklärmuster, das die Politiken der Entsicherung und Entsolidarisierung in den Mittelpunkt bei der Ursachensuche für den Rechtsruck stellt. Beim zweiten Blick fällt dann auf, dass der entscheidende Anstieg der von Krebs gemessenen Unsicherheit in eine Zeitspanne fällt, die politisch heutzutage oft ausgeblendet wird: die vor dem Antritt der rot-grünen Regierung 1998, also vor der Schröder-SPD und dem Agenda-Kurs. Der Zuwachs der von Krebs und anderen gemessenen Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt (in Westdeutschland, da vergleichbare Daten für den Osten für den wichtigen Teilzeitraum vor Mitte der 1990er Jahre nicht vorliegen), stieg vor allem »ab Anfang der 1990er bis zum Ende der 1990er Jahre« an, danach gab es sogar einen leichten Rückgang und ein »Einpendeln auf einem stark erhöhten Niveau, das fast einer Verdoppelung der Unsicherheit im Vergleich zur Situation in den 1980er Jahren entspricht«.  Politisch ließe sich das so interpretieren, dass die entscheidende Phase der Entsicherung in Zeiten von schwarz-gelben Bundesregierungen lag. Das erscheint deshalb nicht nebensächlich, weil sich die Haupterzählungen heute eher auf den Beitrag der SPD zu dieser Entsicherung konzentrieren. Den sozialdemokratischen »Beitrag« zu kritisieren ist so richtig, wie es aber auch nötig wäre, die Periode davor nicht aus dem Blick zu verlieren. Schon in den Debatten darüber, welchen Beitrag die Agenda-Reformen zu den aktuell guten wirtschaftlichen Daten geleistet haben, steckt diese Frage ja drin: Wenn stimmt, wie viele Kritiker der Hartz-Lobhudelei sagen, dass nämlich nicht vor allem die von der sozialdemokratisch geführten Regierung umgesetzten Politiken der Entsicherung für Aufschwung, abnehmende Erwerbslosigkeit etc. gesorgt hätten, sondern viel entscheidender die bereits in den 1990er Jahren einsetzende Zurückhaltung in den Lohnkämpfen, die Schwächung des Faktors Arbeit im Gefolge von Deregulierungen und so weiter waren, müsste ja auch viel mehr noch die Kanzlerschaft von Helmut Kohl ins Visier rücken. In den Debatten über den Rechtsruck hat man davon aber kaum etwas gehört…“.
  • „Eine ganz normale (Nazi-) Partei?“ von Tomasz Konicz am 15. Mai 2018 bei telepolis externer Link, worin zum Komplex kontinuierliche Rechtsentwicklung festgehalten wird: „Dieser neueste, besonders krasse Skandal reiht sich somit in einen seit Jahren bestehenden Trend ein. Bislang haben sich bei parteiinternen Auseinandersetzungen immer die Kräfte in der AfD durchgesetzt, die die Partei weiter nach rechts treiben wollen (Die Bewegung als Bewegung). Die AfD wandelte sich seit ihrer Gründung von der reaktionären Professorenpartei eines Henkel und Lucke über die rechtspopulistische Formation der Frauke Petry bis zum gegenwärtigen Zustand, in dem schon rechtsextreme Kräfte um Höcke, Poggenburg und den Wehrmachts-Fan Gauland tonangebend sind (Keiner kann mehr sagen, von alldem nichts gewusst zu haben). Sachsen-Anhalts ehemaliger AfD-Chef André Poggenburg etwa beschimpfte Türken als Kameltreiber und sprach im reinsten Nazijargon von Linken als von „Wucherungen am deutschen Volkskörper“ – und dennoch ist er weiterhin Mitglied der AfD, der Fraktion und des Fraktionsvorstands. Poggenburg musste zwar zurücktreten von seinem Posten als Landesvorsitzender, doch hierfür wurde er mit einer neuen parlamentarischen Aufgabe entschädigt: Der Mann, der in Nazisprache von „Wucherungen am Volkskörper“ schwadroniert, leitet  nun die Enquetekommission zu Linksextremismus im Landtag von Sachsen-Anhalt – dank der Unterstützung der CDU“.
  • „Autoritärer Populismus als neoliberale Krisenbewältigungsstrategie“ von Alex Demirović in Prokla Nummer 190 vom März 2018 externer Link zum Zusammenhang kapitalistischer Krise und Rechtsentwicklung: „Doch anders als zu erwarten gewesen wäre, ist es nicht zu Bemühungen um eine neue Form von Hegemonie gekommen, sondern zu einer Rechtsverschiebung, in der der Zwang, das Regieren mit Dekreten, die Schwächung des Parlaments und der Öffentlichkeit sowie der Umbau des Rechtsstaats sowohl auf der Gesetzes- als auch auf der justiziellen Ebene (Angriffe auf Versammlungsrecht, Presse-, Meinungs-, Wissenschaftsfreiheit, Ausdehnung der Überwachung, Nicht-Umsetzung richterlicher Entscheidungen durch Polizei oder Verwaltung, Verknappung von finanziellen und personellen Ressourcen, Angriffe auf die Richterschaft), die Erneuerung und der Ausbau der Polizeien eine erhebliche Rolle spielen; daneben kommt es aber auch zu einer Stärkung einer nationalkonservativen, rassistisch und faschistisch orientierten Öffentlichkeit und der Mobilisierung zivilgesellschaftlicher faschistischer Gewalt (der Straßenmob, die gewalttätigen Banden, die paramilitärischen und -polizeilichen Gruppen) . Mit dem autoritären Populismus wird ein neues Verhältnis im Machtblock selbst und im Verhältnis zu den Subalternen hergestellt, das sich als autoritär-plebiszitäre Führung ohne Konzessionen fassen lässt .  Die Unzufriedenheit und Enttäuschungen bei den Subalternen, die aufgrund  der von den Herrschenden in der zweiten Phase verfolgten Politik entstanden ist, wird eben von diesen genutzt und geschürt . Die Subalternen werden durch moralische Paniken und mediale Fokussierungen ermutigt, jene vom Denken, vom Begreifen zunehmend abgespaltene Gefühle in Ressentiments, rassistische Praktiken, Kälte und Entsolidarisierung zu übersetzen – und dafür belohnt mit Aufmerksamkeit und Bekümmernis von oben: „wir haben verstanden“, „die Sorgen der Menschen ernst nehmen“.  Kräfte des Machtblocks stützen sich auf die Subalternen als Instrument, um eigene Positionen im Machtblock durchzusetzen. Die bürgerliche Klasse überlässt das Regieren nicht mehr einem bezahlten politischen Führungspersonal, das aus den bürgerlichen Parteien hervorgeht, sondern wird selbst politisch tätig (Blocher, Berlusconi, Trump) – sei es durch verstärkten Lobbyismus und direkte Aktivitäten in den Ministerien und Verwaltungen oder durch eigene organisatorische politische Aktivität bei der Bildung oder dem Umbau von Parteien, in Parlamenten oder Regierungen“.
  • „Wenn schwerreiche Populisten in die Politik streben“ von Peter Nowak am 15. Mai 2018 bei telepolis externer Link worin über einen möglichen bundesdeutschen Anwärter auf diese Rolle ausgeführt wird: „Hier steckt eine doppelte Drohung für alle Menschen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Es ist die Botschaft, dass man sich notfalls auch krank zur Arbeit schleppen und möglich Tag und Nacht Leistung zeigen sollte. Der bei Gröner mehrmals zitierte Wachmann wäre im Falle der Lohnabhängigen das Wachpersonal, der Aufseher oder auch die Überwachungs-App, die auf die Sekunde genau die Leistung misst. Amazon-Beschäftigte sprechen davon, dass sie schon angesprochen werden, wenn sie mal zwei Minuten nicht arbeiten. So ist Gröner hier durchaus nicht der besonders egozentrische Neureiche, der nicht nur seine Macht und seinen Einfluss ausübt, sondern das auch propagiert. Er ist gleichzeitig der prototypische Vertreter eines Kapitalismus, der möglichst rund um die Uhr die Menschen auspressen will, der es zur Tugend erklärt, in dreißig Jahren nur 3 Tage krank geschrieben gewesen zu sein und auch nachts am Arbeitsplatz zu erscheinen. Die Gefahr, die von Mächtigen wie Gröner ausgeht, liegt vor allem darin, dass solche Bekenntnisse auch bei Menschen auf Zustimmung stoßen, die von ihrer sozialen Lage eigentlich vehement dagegen protestieren müssten. Denn sie haben die Hoffnung, dass die Knute nicht sie, sondern die Menschen trifft, denen es vielleicht noch schlechter als ihnen geht und die das angeblich verdient haben. Wie eine solche sozialchauvinistische Ideologie funktioniert, haben Julia Frank und Sebastian Dörfler in ihren hörenswerten Radio Feature „Warum unsere Gesellschaft die Armen verachtet“ thematisiert. Hier liegt auch ein Grund dafür, weshalb rechter Millionärspopulismus von Trump, Berlusconi und Macron Erfolg hat. Ob man Gröner in diese Reihe stellen kann, ist noch nicht ausgemacht. Denn einstweilen kann der seine Investorenwünsche auch noch ganz gut mit dem aktuellen politischen Personal durchsetzen. (…) Das zeigte sich bei dem Projekt der CG-Gruppe im Friedrichshainer Nordkiez. Da wurde schnell mal der Denkmalschutz Makulatur, damit der millionenschwere Investor nicht ungnädig wird. Eine der Linkspartei angehörende Senatorin hatte dann angeblich auch keine Möglichkeit, Gröner die Baugenehmigung zu verweigern. Da hatte es Gröner nicht schwer, gegen das CG-Projekt protestierenden Nachbarn zuzurufen: „Glaubt Ihr, ich baue nicht, wenn Ihr hier schreit?“ „Seid ihr wirklich so blöd?“
  • „Mitleid ist nicht angebracht“ von Ulrich Schulte am 15. Mai 2018 in der taz externer Link ist ein Kommentar zu den Ausfällen eines Herrn Lindner und dem Verständnis, das ihm von seinen KollegInnen entgegen gebracht wird: „Lindners Äußerungen sind so widerlich, weil sie subtil funktionieren. „Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden, wenn einer mit gebrochenem Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hochqualifizierte Entwickler künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer“, sagte er in seiner Rede. Und folgerte: Damit die anderen Wartenden jenen nicht schief anschauen und Angst vor ihm haben, müssten sie sicher sein, dass jeder, der sich in Deutschland aufhalte, dies legal tue. Lindner zeigt also Verständnis für Leute, die andere in Schubladen einsortieren, weil sie gebrochen Deutsch sprechen, wohl auch „anders“ aussehen. Herkunft mit bestimmten, gerne negativen Verhaltensweisen zu verknüpfen ist ein klassisch rechtes Denkmuster. Der Ausländer ist per se verdächtig, im Zweifel kriminell – deshalb muss man ihn fürchten. Dass Lindner später darauf verwies, eine reale Situation beschrieben zu haben, die ihm ein Zuwanderer geschildert habe, macht die Sache nicht besser. Er wäre nicht der erste Politiker, der sich hinter einer Anekdote versteckt. Von Boris Palmer hätte man sich 2016 auch gewünscht, dass er die sich um ihre blonden Töchter sorgenden Professoren still beiseite nimmt, um ihnen ein paar Klischees über Geflüchtete zu erklären. Entscheidend ist, wie Lindner die Anekdote instrumentalisiert. Er adelt das Ressentiment, indem er es in ein politisches Argument verwandelt. Eine rassistische Abwertung wird in der Rede zum scheinbar seriösen Beleg für inhaltliche Forderungen“.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=132105
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