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Die Tragödie eines besetzten Hochhauses in São Paulo: Schlaglicht auf die Wohnungsnot Hunderttausender – und Anlass für eine Hasskampagne der Rechten

Hunderte von Menschen seit Tagen auf der straße nach dem Einsturz eines besetzten Hochhauses in Sao Paulo am 1.5.2018In der Nacht zu Dienstag hat ein ehemaliges Bürogebäude in der Innenstadt der Megametropole zuerst Feuer gefangen und war danach eingestürzt. Innerhalb von wenigen Sekunden lag das 24-stöckige Gebäude in Schutt. In dem besetzten Haus hatten Mitglieder der Wohnungslosenbewegung MLSM gelebt. Es soll Tote gegeben haben, mehrere Menschen werden vermisst. 150 Familien wurden auf einen Schlag obdachlos. (…) Das Hochhaus war vor sechs Jahren von armen Familien besetzt worden. Hausbesetzungen haben Tradition in der Megalopolis: Alleine in der Innenstadt von São Paulo werden mehr als 70 Häuser besetzt gehalten. Hintergrund ist die massive Wohnungsnot und die extreme soziale Ungleichheit in der Stadt. Laut Statistiken der städtischen Wohnungsbehörde haben Hunderttausende Menschen im Großraum São Paulo keine Wohnung oder leben in eigentlich unzumutbaren Verhältnissen – Tendenz steigend. (…) In vielen Medien wurde nach der Tragödie kolportiert, dass das Gebäude von der bekannten Wohnungslosenbewegung MTST besetzt wurde – für viele Linke ein klarer Versuch, medial gegen den Aktivismus der Bewegung mobilzumachen. Denn: Die MTST gilt als landesweit wichtigste soziale Bewegung“ – aus dem Beitrag „Brasiliens Rechte hetzt nach Tragödie gegen soziale Bewegungen“ von Niklas Franzen am 04. Mai 2018 in neues deutschland externer Link, aus dem deutlich wird, dass HausbesetzerInnen in Brasilien etwa in der Rolle sind, die afrikanische Flüchtlinge, die sich gegen Abschiebung wehren, in der BRD innehaben… Zur aktuellen Auseinandersetzung in Brasilien um Wohnungsfrage und Hausbesetzungen, sowie zur Kampagne gegen soziale Bewegungen fünf weitere Beiträge, darunter Stellungnahmen von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen:

  • „Por que é importante levar habitação popular para o centro?“ von Carol Scorce am 04. Mai 2018 bei Carta Capital externer Link ist ein Beitrag zum Hintergrund der Ereignisse. Von den offiziellen Zahlen ausgehend, fehlen in der Stadt über 300.000 Wohnungen und schätzungsweise 1,2 Millionen Menschen leben auf der Straße, in selbst gebauten Hütten oder baufälligen Gebäuden. Dies betrifft insbesondere Armuts-MigrantInnen, die heute nicht nur, wie traditionell, aus Brasiliens Nordosten kommen, sondern zunehmend auch aus anderen lateinamerikanischen Staaten. Auch unter den vom Einsturz Betroffenen waren etwa 25% Menschen mit ausländischem Pass. In dem zum Artikel gehörenden Interview mit einem Stadtsoziologen wird insbesondere auf eine Besonderheit der Stadt eigegangen, die trotz anders gerichteter Wohnbaupolitik immer noch davon geprägt ist, dass sehr viele Menschen mit niedrigem Einkommen im Zentrum oder zentrumsnahe wohnen – eben in oft sehr alten, reformbedürftigen Häusern, oder aber, und dies sind insgesamt mehrere Tausend Personen, in faktisch verlassenen Häusern, die die besetzen. Und in einer Stadt, wo die Wege zur Arbeit Sunden dauern können, sei es objektiv und subjektiv wichtig, nahe dem Arbeitsplatz zu wohnen.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=131737
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