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Auch in Brasilien: Streikwelle an den Schulen – egal, wer den Bundesstaat regiert. Und was die Gewerkschaft sagt…

Lehrer im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais stimmen für die Fortsetzung des Streiks am 10.4.2018In Brasiliens größter Stadt São Paulo fand vor kurzem ein massiv befolgter Streik der Lehrerinnen und Lehrer an den städtischen Schulen statt, dessen Ergebnis mit dem Teilerfolg einer Aussetzung der Rentenreform eine eindeutige politische Niederlage für den rechten neoliberalen Hardliner Bürgermeister Doria bedeutete. Ähnlich, wie etwa bei dem Streik an den Schulen des US-Bundesstaates West Virginia war es auch hier im wesentlichen den gelungenen Versuchen der – vorwiegend weiblichen – Gewerkschaftsbasis, sich unabhängig von gewerkschaftlichen Strukturen zu organisieren, zu verdanken, dass dieser Erfolg errungen wurde. Und ähnlich wie in den USA macht das Beispiel im wahrsten Sinne des Wortes Schule. Auch im benachbarten Bundesstaat Minas Gerais streiken die Lehrinnen und Lehrer der staatlichen Schulen – weil sie, gelinde gesagt, unregelmäßig bezahlt wurden. Der Bundesstaat wird seit langem vom PT-Gouverneur Pimentel regiert (für nicht Wenige so eine Art Gerhard Schröder oder Tony Blair der brasilianischen Sozialdemokratie) – und auch in anderen Bundesstaaten, mit recht unterschiedlichen Regierungen, gibt es erste regionale und örtliche Streiks. Die sich eben insgesamt durch zwei Dinge charakterisieren lassen und geprägt sind. Zum einen durch den Widerstand gegen eine – parteiübergreifende – Politik der Austerität, die nicht nur die Gehälter der Lehrenden betrifft, sondern auch – und vor allem – die Ausstattung der Schulen. Und die schlichte Tatsache dass es überall – auch dies im Wortsinne – vorsichtig gesagt, Probleme gibt im Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Mitgliedschaft. Dass diese Bewegung angesichts der rechten Offensive im Land auf Repression stößt, ist ebenso nahe liegend, wie die (bisherige?) Erfolglosigkeit solcher Unterdrückungsmaßnahmen. Zu den Streiks an städtischen und bundesstaatlichen Schulen in Brasilien fünf aktuelle Beiträge aus vier (weit entfernten) Bundesstaaten:

  • „Victory for the education sector strike“ von Anne Engelhardt am 20. April 2018 bei Progress in Political Economy externer Link ist ein Beitrag über den erfolgreichen Streik der Lehrerinnen und Lehrer in São Paulo vom 08. bis 27. März 2018. Der Streik galt dem Rentenplan des Bürgermeisters Doria (PSDB). Dieser wollte im Prinzip dieselbe Reform vor Ort durchsetzen, die auf nationaler Ebene von der Temer-Regierung angestrebt wird, jedoch bisher an breiten Widerständen gescheitert ist. Eine neue – börsennotierte – Versicherungsbehörde soll dazu geschaffen werden – die Beiträge steigen von bisher 11% des Einkommens auf bis zu 19%. Und – zumindest ein Teil dieser Einzahlungen soll der Spekulation übergeben werden. In dem Artikel wird ausführlich dargestellt dass die massive Selbstaktivierung der Betroffenen vor allem eine Entwicklung bei den Lehrerinnen war, die sich wie nie zuvor „einmischten“ und dafür sorgten, dass bei der Großdemonstration 40.000 Menschen auf der Straße waren. Der während des Streiks geschehene Mord an Marielle Franco – zur selben Zeit, da die streikenden Lehrerinnen vor dem Stadtrat von der Paulistaner Polizei überfallen wurden – trug zu seiner weiteren Verbreiterung und Radikalisierung bei. Entgegen dem Willen des Gewerkschaftsvorstandes begannen die Streikenden die Forderung nach einem Generalstreik in der Stadt zu erheben – und dafür bei anderen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes erfolgreich zu werben. Solidaritätsstreiks im Gesundheitssektor fanden statt. Vor diesem großen Druck, auch ausgedrückt in einer Demonstration gegen den Mord an Marielle fFanco, an der sich über 100.000 Menschen beteiligten, kapitulierte der Stadtrat – den Koalitionsabgeordneten war wohl „eingefallen“, dass am Jahresende Wahlen anstehen – und verschoben die Abstimmung über das Rentenprojekt um 120 Tage, was dann noch näher an dem Wahltermin sein wird und die Vermutung sehr nahe legt, dass es hiermit gestorben sei…
  • „Educadores de MG em greve batalham pra vencer, apesar do boicote da direção do SindUTE-MG“ am 18. April 2018 bei Esquerda Diario externer Link war zwei Tage zuvor die Dokumentation einer vorherigen Erklärung der Gewerkschaftsopposition „Nossa Classe“ in der LehrerInnen-Gewerkschaft Sind Ute Minas Gerais zum 40. Streiktag im Bundesstaat, ein Streik, der ebenfalls am 08. März begonnen hatte. Am 10. April 2018 hatte es eine Streik-Vollversammlung gegeben, bei der der Gewerkschaftsvorstand des Bundesstaates eine Resolution zur Abstimmung brachte, die ein Ende des Streiks nach über 4 Wochen bedeutete. Und die rundweg auf Ablehnung stieß – so wurde vor der Abstimmung zurück gezogen. Was die streikenden Lehrerinnen und Lehrer seitdem erleben ist, dass die Gewerkschaft – gar nichts mehr tut, sich nicht einmal mehr zu Wort meldet, geschweige denn irgendetwas organisiert. Was wiederum dazu geführt habe, dass in mehreren Orten des Landesinneren sich lokale Streikkommandos gebildet haben, die auf Vollversammlungen gewählt wurden. Statt der gewerkschaftlichen Organisation helfen jetzt nahezu überall SchülerInnen und Elternvereingungen, den Streik weiter zu führen. Nahe liegend, dass die Gewerkschaftsopposition dazu aufruft, auch an den anderen Orten Streikkommandos zu wählen.
  • „Professores da rede municipal de ensino deflagram greve na próxima quarta-feira“ von Hélia Vasconcelos am 12. April 2018 bei O Povo externer Link war der Bericht über die Vollversammlung der Gewerkschaft der LehrerInnen in Fortaleza (Hauptstadt des nordöstlichen Bundesstaates Ceará), die nahezu einstimmig für einen Streik ab dem 18. April stimmte. Dieser richtet sich gegen eine Maßnahme des Bürgermeisters Roberto Cláudio (PDT), der die gesetzlich vorgesehene Anhebung der Lehrereinkommen immer weiter hinaus zögert, der fällige Termin war zum Jahresbeginn. Was sich darum rankt, dass über ein Drittel der rund 6.000 Lehrinnen und Lehrer der städtischen Schulen  sogenannte „Ersatzkräfte“ (substitutos) sind, mit anderen Worten ZeitarbeiterInnen. Deren Bezüge per Gesetz nicht so genau reguliert sind, wie die der Festangestellten. Woebi auch hier auf der Versammlung ein Thema war, dass der örtlich Gewerkschaftsvorstand immer wieder gefragt wurde, ob es stimme, dass er in Verhandlungen mit der Präfektur stehe, was in verschiedenen Medien berichtet worden sei. Und intensiv kritisiert wurde, da die Beschlusslage ist, erst bei einem verbesserten Angebot zu verhandeln.
  • „Greve de professores no Amazonas“ von José Bessa Freire am 01. April 2018 im Diario do Amazonas externer Link ist der Bericht über den Beschluss der Streikversammlung der LehrerInnen in Manaus, den Streik auf den ganzen Bundesstaat auszudehnen, was in der folge auch geschah. Es ist der erste landesweite Streik im größten Bundesstaat Brasiliens seit 1979, an ihm sind über 15.000 Lehrerinnen und Lehrer beteiligt, die neben ihren Gehaltsforderungen auch die Verbesserung der Strukturen und Lehrbedingungen fordern, sowie eine bessere Versorgung der SchülerInnen – was wiederum von Elternvereingungen unterstützt wird. Gouverneuer Mendes (PDT) – schon in frührerer Amtszeit bekannt geworden durch seine Aussage, gegen Waldschützer sei es am besten, Motorsägen einzusetzen – nannte die Streikenden „Idioten“. Was bei der Mobilisierung nicht hinderlich war… Eine Woche später wurde der Streik mit beachtlichen Erfolgen beendet, die nicht zuletzt errungen wurden durch selbstorganisierte Aktivitäten in Gegenden, in denen die gewerkschaftlichen Strukturen eher schwach sind…
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=130882
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