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Erfolgreiches niederländisches Referendum gegen weitere Überwachungsgesetze: Wird jetzt dem EU-Modell Griechenland gefolgt?

KampagnenlogoDie Niederländer haben sich bei einem Volksentscheid mit knapper Mehrheit gegen die Ausweitung der Befugnisse von Geheimdiensten im Internet ausgesprochen. 49,4 Prozent der mehr als sechs Millionen Wahlteilnehmer hatten sich bei der Abstimmung am 21. März gegen das Gesetzesvorhaben der Regierung von Ministerpräsident Mark Rutte ausgesprochen – 46,5 Prozent waren laut Wahlbehörde für das Gesetz. Die Wahlbeteiligung lag bei 51,4 Prozent und erreichte somit das nötige Quorum, damit der Volksentscheid gültig ist. Insgesamt waren parallel zu Kommunalwahlen rund 13 Millionen Niederländer zur Teilnahme an der Abstimmung aufgerufen. Das Gesetz über die Befugnisse niederländischer Geheimdienste zum Sammeln und Speichern von Daten im Internet hätte schon am 1. Mai in Kraft treten sollen. Das Votum ist für die Regierung nicht bindend. Allerdings hatte Rutte zuvor angekündigt, das Ergebnis ernst zu nehmen“ – aus der afp-Meldung „Niederländer gegen mehr Internet-Überwachung“ am 29. März 2018 externer Link (hier beim Tagesspiegel), woraus die Begrenzung schon hervor geht, mit der auch dieser Volksentscheid vom Tisch gewischt werden soll – wie immer, wenn in der EU oder deren Einzelstaaten Abstimmungen unerwünschte Ergebnisse mit sich bringen. Siehe zum Volksentscheid gegen weitere Überwachung drei aktuelle Beiträge und einen Hintergrundartikel zur Vorgeschichte, sowie zwei Links zu Grundsatzpositionierungen für das Referendum – und für das Nein beim Referendum:

„Referendum über das Sammeln und Speichern von Daten“ am 20. März 2018 beim Niederlande-Net der WWU Münster externer Link zu Positionierungen vor dem Referendum und in parlamentarischen Prozess, sowie zum Inhalt des Gesetzes: „Im vergangenen Jahr hatte die niederländische Regierung beschlossen, das Gesetz für Sicherheitsdienste, das seit dem Jahr 2002 nicht mehr angepasst worden war, aufgrund der vielen technischen Neuerungen anzupassen. Die Sicherheitsdienste hatten die Regierung um diese Anpassung gebeten, da sie keine gesetzlichen Möglichkeiten haben, ungezielt große Datenmengen in Form von Telefongesprächen, E-Mails etc. abzufangen. Die technischen Neuerungen haben dafür gesorgt, dass dieser Datenverkehr größtenteils nur noch über Kabel stattfindet. Die Sicherheitsdienste AIVD (Algemene Inlichtingen- en Veiligheidsdienst) und MIVD (Militaire Inlichtingen- en Veiligheidsdienst) forderten das neue Gesetz, da dadurch die Sicherheit der Niederlande und der Niederländer bei militärischen Missionen im Ausland erhöht werde.  In der Ersten und der Zweiten Kammer wurde im letzten Jahr größtenteils für das neue Gesetz gestimmt. Lediglich die SP, GroenLinks, die Partij voor de Dieren und D66 haben in beiden Kammern gegen den Gesetzesentwurf gestimmt. Die Koalitionspartner (VVD, CDA und ChristenUnie) sind aufgrund des Sicherheitsaspektes starke Befürworter des Gesetzes. Fünf Studenten hatten daraufhin jedoch erfolgreich ein Referendum beantragt. Die Studenten sahen in dem neuen Gesetz eine Gefährdung der Privatsphäre. Daraufhin wurde das Inkrafttreten des Gesetzes auf den 1. Mai verschoben.  Die Kritiker des Gesetzes sprechen oft von einer Fangnetz-Methode, bei der ungezielt Unmengen von Daten gesammelt würden. Sollte das Gesetz nach dem Referendum in Kraft treten, würden die Sicherheitsdienste bestimmte Kabel anzapfen. Der Datenverkehr würde dann kopiert. Allerdings muss das zuerst von einem Minister und einer neuen Aufsichtsinstanz genehmigt werden. Dieser kopierte Datenverkehr würde zuerst gefiltert werden, nicht relevante Daten, die beispielsweise durch genutzte Streamingdienste wie Spotify und Netflix anfallen, würden direkt herausgefiltert. Datenverkehr mit bestimmten Merkmalen würde kopiert und auf einem anderen Server gespeichert. Die meisten Daten, so die Sicherheitsdienste, würden schnell wieder gelöscht, als wichtig eingestufte Daten dürften bis zu drei Jahre lang gespeichert werden.  Gleichzeitig würden den Sicherheitsdiensten mehr Freiheiten zum Hacken eingeräumt, denn das neue Gesetz umfasst neue Befugnisse, die das Hacken über Dritte erlauben. Hierbei würde das Smartphone oder ein Server einer unschuldigen Person gehackt und als „Stepping Stone“ genutzt“.

„»Ein Angriff auf die Demokratie«“ am 22. März 2018 in neues deutschland externer Link ist ein Gespräch von May Naomi Blank mit Lotte Houwink vom Transnational Institute in Amsterdam über die Kompetenzerweiterung der Nachrichten- und Sicherheitsdienste, in dem es zur Bedeutung dieses Gesetzes unter anderem heißt: „Das kann jemand sein, mit der die Person in Kontakt ist, aber auch ein Dienstleister, zum Beispiel beim Internetprovider oder bei Webhosting-Unternehmen. Und wo einmal Sicherheitslücken entstehen, können sich auch andere einhacken. Drittens wird der Zugang zu Informationen durch die Nachrichtendienste automatisiert. Bislang lief es so: Die Nachrichten- und Sicherheitsdienste konnten Informationen von Behörden oder Instanzen abfragen, wenn das für ihre Arbeit relevant war. Aber jetzt werden Dienste automatisch ohne Anfrage Zugang zu allen möglichen Datenbanken erhalten, vom Staat, aber auch von Banken oder medizinische Informationen. Die Befugnisse gehen noch viel weiter, als das zum Beispiel in Deutschland der Fall ist“.

„So brachten fünf junge Niederländer die Massenüberwachung ins Wanken“ von Simon Rebiger am 27. März 2018 bei netzpolitik.org externer Link zeichnet die Entwicklung des Referendums nach: „Der Gedanke machte die 23-jährige Marlou Gijzen wütend. Die Logik-Studentin aus Amsterdam ließ die Idee nicht los, etwas gegen die geplanten Überwachungsmaßnahmen zu unternehmen. „Ich fand es merkwürdig, dass es so viele große Organisationen gab, die das Gesetz kritisierten, aber nicht alle im Land hatten überhaupt davon gehört“, sagt Marlou. Sie erinnerte sich an den Kommentar auf Reddit: ein Referendum könnte das Mittel zu mehr Aufmerksamkeit ein. (…) Bis dahin lief die Debatte vor allem zwischen den üblichen Interessierten ab: Bürgerrechtler und die Opposition auf der einen, Regierung und Geheimdienste auf der anderen Seite. Marlou wollte das ändern. Ihr Ziel: Den Kampf um Privatsphäre zu einem Thema im Mainstream machen, so wie es zuvor etwa der feministischen Bewegung gelungen war. Gemeinsam mit vier Freunden von der Universität Amsterdam sammelte sie in den nächsten Monaten Unterschriften für ein Referendum. Aus den fünf Studierenden wurde eine Gruppe von AktivistInnen. Sie richtete ihre Kampagne vor allem auf junge Menschen, wie sie selber aus. „Die Kampagne fand vor allem auf den Social-Media-Plattformen statt. Als junge Leute, die für ihr Recht auf ein freies Internet kämpfen, wollten wir die Kampagne vor allem dort führen“, erklärt Marlou die Strategie. Für ein landesweites Referendum müssen in den Niederlanden mindestens 300.000 Unterschriften in sechs Wochen gesammelt werden. Das war vorher nur einmal gelungen: 2016 stimmten die Niederländer über das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine ab. Allerdings haben Volksabstimmungen in den Niederlanden nur eine beratende Funktion. Sie dienen der Befragung der Bevölkerung. Die Regierung kann selber entscheiden, ob und wie sie auf das Ergebnis reagiert. Mit etwas Hilfe von Amnesty International und anderen Organisationen sammelten die fünf AktivistInnen in relativ kurzer Zeit einige zehntausend Unterschriften. Dann ging es nur noch schleppend voran. Die Kampagne drohte zu scheitern. „Wir fingen an zu denken, dass wir es nicht schaffen würden“, erinnert sich Marlou. (…) An diesem Punkt stößt Arjen Lubach auf sie. Der Late-Night-Host ist so etwas wie der niederländische Jan Böhmermann. Wenn er sich einem Thema annimmt, geht es viral. Lubach widmete dem Überwachungsgesetz 13 Minuten seiner Show. Viele Menschen realisierten wohl zum ersten Mal, was das Überwachungsgesetz genau bedeutet. „Stell dir vor, eines Tages erhältst du ein Paket mit einer Kamera und einem Mikrofon und einer Notiz: Installiere diese Geräte in deinem Haus und schalte sie an. Wir beabsichtigen nicht, sie zu nutzen. Grüße, deine Regierung“, sagt Lubach in dem Video. Das würde niemand machen. Doch genau das sehe das Sleepwet vor, so Lubach. Er fordert seine Zuschauer zum Unterzeichnen der Kampagne für ein Referendum auf“.

„Waarom tegen de sleepwet stemmen?“ bei der Gruppe Dekabel externer Link war der Aufruf der AktivistInnen, gegen das neue Gesetz zu stimmen, worin die sechs zentralen Gründe für die Ablehnung knapp dargestellt werden – auf niederländisch, versteht sich…

„Say no to the sleepwet“ am 16. März 2018 bei der SP International externer Link war die englische Übersetzung (und Erläuterung) der Stellungnahme der linken Partei zum neuen Überwachungsgesetz, das sie bereits bei der parlamentarischen Entscheidung abgelehnt hatte – was im Wesentlichen dieselben sechs Punkte sind, die auch die AktivistInnen von dekabel angeführt hatten bei der Begründung ihrer Kampagne.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=129989
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