[Gesundheitliche Belastung durch Schadstoffemissionen] »Oftmals heuchlerisch«

Wolfgang Hien, Medizinsoziologe, im Gespräch mit Peter Nowak über die Unterschätzung von Schadstoffemissionen bei der Jungle World vom 8. Januar 2018 externer Link. Wolfgang Hien u.a.: „… Grundsätzlich ist es das Interesse der Industrie, herauszubekommen, wie viele Gifte der Mensch verkraften kann. Dabei haben die Unternehmen stets versucht, der viel wichtigeren Frage auszuweichen, was es für die Gesundheit bedeutet, wenn Menschen schädlichen Stoffen oder Giften über Jahre und Jahrzehnte ausgesetzt sind. (…) Der eigentliche Skandal liegt erstens darin, dass Hundertausende Menschen am Arbeitsplatz über Jahrzehnte einer tatsächlich schädigenden Konzentration ausgesetzt waren, obwohl es seit Jahrzehnten Kritik an der alten Grenzwertsetzung gab. Zweitens ist es ein Skandal, dass Millionen Menschen, vor allem Kinder, chronisch Kranke und Alte, an stark befahrenen Straßen nicht nur acht Stunden am Tag und 40 Stunden in der Woche, sondern rund um die Uhr mit erheblichen Konzentrationen belastet sind, was statistisch gesehen mit Sicherheit Schäden verursacht. Der eigentliche Skandal ist, dass hier seit Jahrzenten ein Massenexperiment an Menschen vorgenommen wird. All das haben kritische Wissenschaftler seit langem thematisiert (…) Expositionen in der Arbeitswelt sind höher als die in der sonstigen Umwelt. Diese Aussage gilt freilich nur hierzulande, nicht für die Schwellenländer und Länder der Dritten Welt, wo Kinder auf regelrechten Giftmülldeponien spielen. In den Industrienationen wird mit vielen neuen Stoffsystemen hantiert, Epoxidharzen, Isocyanaten, Nanopartikeln, die nur unzureichend auf Langzeitwirkungen untersucht sind. Auch hier findet ein Menschenversuch in größerem Maßstab statt, der nicht nach drei Stunden endet, sondern der ein Arbeitsleben lang läuft, das schon mit 45 oder 55 zu Ende sein kann wegen arbeitsbedingter Krankheit oder vorzeitigem arbeitsbedingtem Tod.“

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