Kleinkrieg in die Großbetriebe! Robert Schlosser zum Beitrag von Wolfgang Schaumberg

Debattenbeitrag von Robert Schlosser, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Ausgabe 11/2017

express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und GewerkschaftsarbeitWolfgang Schaumberg fordert in seinem Beitrag »die Linke« dazu auf, ihre politische Arbeit auf die Großbetriebe auszurichten. (S. express, Nr. 9-10/2017) Das erinnert mich sehr an die frühen 1970er Jahre, als wir – in diesem Fall die Mitglieder der K-Gruppen, zu denen damals auch ich gehörte – unsere antikapitalistische politische Arbeit darauf ausrichteten und eine Minderheit auch in die Großbetriebe ging. Die Ergebnisse, die wir heute begutachten können, sind ernüchternd. Die Ursachen für das Scheitern sind schnell (und unsystematisch) – aufgezählt:

  • Die Haupttendenz in der Welt war nicht – wie angenommen – Revolution.
  • In den hochentwickelten kapitalistischen Ländern hatten sich nach dem 2. Weltkrieg die sozialen Verhältnisse für die LohnarbeiterInnen soweit verbessert, dass die Begründungen von und Aufrufe zu revolutionärem Aufbruch kaum Gehör fanden.
  • Die bolschewistischen Organisations- und Politikvorstellungen, der gepriesene Sozialismus in Stalins UdSSR und Maos China waren aus gutem Grund wenig überzeugend.
  • Die Sekten bekämpften sich auch damals schon untereinander bis aufs Messer und trugen das auch vor den Großbetrieben in ihren Flugblättern und Betriebszeitungen aus.

Und heute?

Was sollte gewonnen werden, wenn »die Linke« – die heute noch weit buntscheckiger ist – ihre politische Arbeit auf die Großbetriebe ausrichtet, wenn all die Richtungen, die da so unterwegs sind, vor den Werks­toren der Großbetriebe ihre Blättchen mit ihren speziellen Positionen verteilen?

Auch in den 1970er Jahren zeigte die Agita­tion vor den Werkstoren nur dort kleine Wirkung, wo es Leute in den Betrieben gab, die entsprechend auftraten und der Kritik ein Gesicht gaben. Nicht selten waren das Leute, die bewusst, aus politischer Überzeugung, in die Betriebe gingen. Meistens allerdings hielten sie nicht sehr lange durch, wurden entweder »gefeuert« oder gingen, weil sie das Scheitern ihrer oft zweifelhaften Bemühungen erkannten. Heute ist es – selbst wenn gewollt – nicht so einfach, überhaupt in einen Großbetrieb zu kommen. Ohne solche AktivistInnen in den Betrieben – ob KollegInnen, die sich radikalisiert haben, oder Radikale, die in den Betrieb gegangen sind – ist das Verteilen der Flugblätter von Sekten vor den Werkstoren wie das Rufen des Einsamen im dunklen Wald. (Es gäbe noch einige Einwände mehr – die veränderten Klassenverhältnisse betreffend –, die ich hier nicht entwickeln will.) Es gilt, sich der Realität zu stellen – der der Verhältnisse und der »der Linken«. Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit der antikapitalistischen AktivistInnen – sofern es sich dabei um LohnarbeiterInnen handelt – in Klein- und Mittelbetrieben arbeitet, die oft keine »klassischen« Industriebetriebe sind. Und dort, wo sie arbeiten, sollten sie auch praktisch-klassenkämpferische Aktivität entwickeln. Weil die Fluktuation in den Betrieben allgemein heute sehr hoch ist – Pleiten, »Restrukturierungen« des Kapitals etc. –, ist es besonders wichtig, sich überbetrieblich zu vernetzen und zu organisieren. »Verankerung« in den einzelnen Betrieben verheißt wenig Perspektive – weder inhaltlich noch organisatorisch. Inhaltlich deshalb nicht, weil dabei allemal betriebliche Fragen im Vordergrund stehen und nicht Fragen, die mehr oder weniger alle LohnarbeiterInnen betreffen. Organisatorisch nicht, weil die Existenz einzelner Betriebe ziemlich vergänglich geworden ist. Das gilt heute selbst für solche Großbetriebe wie Opel in Bochum.

Wenn es heute in den Großbetrieben zu Widerstand kommt, dann will der vor allem verteidigen, was ist. Wenn es heute in Klein- und Mittelbetrieben zu Widerstand kommt, dann wollen die Belegschaften entweder das gleiche oder sie wollen soziale Standards durchsetzen, wie sie in vielen Großbetrieben selbstverständlich sind. (In den Klein- und Mittelbetrieben ist dabei die Frage der Wahl eines Betriebsrats häufig von großer Bedeutung.) Das ist die Realität und darin ist von einem Streben nach sozialer Emanzipation im Sinne einer Überwindung des Kapitalismus wenig zu spüren, weder in Groß- noch in Klein- und Mittelbetrieben.

Wolfgang Schaumberg will nicht nur die Aufmerksamkeit auf die industriellen Großbetriebe lenken, sondern hebt auch die notwendige Kritik an der Gewerkschaftspolitik hervor. Auch dieser Aspekt wird aus meiner Sicht überbewertet. In zahlreichen Betrieben und an anderen Orten, wo Lohnarbeit Anwendung findet, sind die Gewerkschaften kaum oder gar nicht präsent und aktiv. Doch auch hier dominiert das »reine Stellvertreterdenken«. Dies kennzeichnet nämlich den allgemeinen politischen Konsens in der »repräsentativen Demokratie«. Wäre das nicht so, gäbe es ständig Auseinandersetzungen um die und in der angeblichen »Selbstverwaltung der Kommunen« oder der angeblichen »Selbstverwaltung der Sozialversicherungen«. Durch Konzentration auf die Kritik an der Gewerkschaftspolitik kann man an diesem allgemeinen Bewusstsein auch nichts ändern. Die Sozialdemokratie als Partei und als beherrschende politische Kraft in den Gewerkschaften hat sicher einen wesentlichen Anteil an der Verbreitung und Dominanz des »Stellvertreterdenkens« unter LohnarbeiterInnen. Das ist jedoch mehr Geschichte als Gegenwart. Dieses Denken ist heute so allgemein und selbstverständlich, dass es dazu keiner besonderen Partei mehr bedarf, die speziell unter LohnarbeiterInnen dafür wirbt. Wie wenig es noch einer Sozial­demokratie bedarf, kann man an ihrem Niedergang ablesen.

Auch oppositionelle, klassenkämpferische Betriebsratsarbeit, die sich um Durchbrechung der »reinen Stellvertreterpolitik« müht, vermag nur wenig an der Dominanz dieses Denkens zu ändern. Auf lange Frist wird solche Aktivität regelmäßig vielmehr selbst durch dieses politische »Stellvertreterdenken« gebrochen; streiten muss man daher für ein allgemeines politisches Bewusstsein, dass wieder Selbstorganisation von LohnarbeiterInnen als Klasse ermöglicht – unabhängig davon, ob sie in Groß- oder Kleinbetrieben arbeiten, in der Industrie oder dem öffentlichen Dienst etc.

Die Frage, die sich den antikapitalistischen Kräften für eine klassenkämpferische Praxis stellt, ist ganz einfach die, ob sie sich auf den »Kleinkrieg« mit dem Kapital einlassen wollen – wo immer sie für Lohn arbeiten – und mit welchen inhaltlichen Positionen sie die herrschende bornierte Praxis durchbrechen wollen. Die Entscheidung darüber ist letztlich eine theoretische Frage bzw. hängt von theoretischen Positionen ab. (Das betrifft die Kritik am Kapital und die Ziele, die man verfolgt.)

Ich halte diesen »Kleinkrieg« und wie er inhaltlich und organisatorisch zu führen ist, für unverzichtbar! Diese Kleinarbeit gehört zu den praktischen Grundlagen der Überwindung dieses elenden Sektierertums speziell in Deutschland. Eine Diskussion darüber, welche Bedeutung die »linke« Aktivität an und in industriellen Großbetrieben hat, lenkt eher ab von den Problemen, vor denen »die Linke« heute aus meiner Sicht steht. Sie gibt allenfalls Anlass dazu, sich die wirklichen Probleme vor Augen zu führen.

Robert Schlosser

Es handelt sich um eine Erwiderung auf den Debattenbeitrag „Die Linke ohne die Leute?“ von Wolfgang Schaumberg, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit: Ausgabe 9-10/2017

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