EuGH konterkariert den Gesundheitsschutz der „wöchentlichen“ Ruhezeit

„Diagnose: Kapitalismus – Therapie: Pause.“„… Nach der Arbeitszeitrichtlinie hat jeder Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum Anspruch auf eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden. (…) In seinem heutigen Urteil erklärt der Gerichtshof, dass das Unionsrecht nicht verlangt, dass die wöchentliche Mindestruhezeit spätestens an dem Tag gewährt wird, der auf einen Zeitraum von sechs aufeinanderfolgenden Arbeitstagen folgt, sondern nur, dass sie innerhalb jedes Siebentageszeitraums gewährt wird. Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass die Wendung „pro Siebentageszeitraum“ keinerlei Verweisung auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten enthält und somit ein autonomer Begriff des Unionsrechts ist, der einheitlich ausgelegt werden muss. (…) Im Hinblick auf das Ziel der Richtlinie schließlich erinnert der Gerichtshof daran, dass diese den Zweck verfolgt, die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer wirksam zu schützen. Jedem Arbeitnehmer müssen also angemessene Ruhezeiten zur Verfügung stehen. Allerdings lässt die Richtlinie für ihre Umsetzung eine gewisse Flexibilität zu und räumt somit den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Festsetzung des Zeitpunkts, zu dem diese Mindestruhezeit zu gewähren ist, ein Ermessen ein…“ EuGH-Pressemitteilung Nr. 115/17 vom 9. November 2017 externer Link : „Die wöchentliche Ruhezeit für Arbeitnehmer muss nicht notwendigerweise an dem auf sechs aufeinanderfolgende Arbeitstage folgenden Tag gewährt werden. Sie kann an einem beliebigen Tag innerhalb jedes Siebentageszeitraums gewährt werden“. Siehe dazu:

  • EuGH zur Ruhezeit im Arbeitsrecht: Zwölf Tage Arbeit am Stück sind zulässig
    „Nach wie vielen Arbeitstagen steht Arbeitnehmern ein Ruhetag zu? Eine Frage, die den EuGH am Donnerstag über Umwege erreichte. Christian Oberwetter hält die Antwort der Luxemburger Richter darauf für nicht ganz unkritisch. (…) Die Entscheidung des EuGH ist aus sich heraus erst einmal nachvollziehbar, wenngleich sich die Frage stellt, ob ein Ruhetag nach einer Sechs-Tages-Schicht dem Ziel der Richtlinie, die Gesundheit der Beschäftigten zu fördern, aus arbeitsmedizinsicher Sicht nicht näher kommt als die Gewährung eines Ruhetages „irgendwann“ im Siebentageszeitraum. Insbesondere, da in Deutschland die Fünf-Tage-Woche genau wie in vielen anderen EU-Mitgliedstaaten die Regel darstellt. Der EuGH hätte sich zudem intensiver mit der Europäischen Grundrechtecharta beschäftigen können, in deren Art. 31 Abs.2 ein Anspruch auf wöchentliche Ruhezeiten begründet wird. Zwar ergibt sich aus dem Passus selbst keine weitere Information zur Auslegung des Art.5 der Arbeitszeitrichtlinie. Allerdings hätte der EuGH den Gehalt des Europäischen Grundrechts bei dieser Gelegenheit näher konkretisieren sollen. So wird man abwarten müssen, ob die Entscheidung neue Begehrlichkeiten weckt. In der derzeitig durch Digitalisierung und Globalisierung gekennzeichneten Arbeitswelt wird angesichts der fortschreitenden 24/7-Mentalität seitens der Wirtschaft bereits der Abschied vom Acht-Stunden-Tag und eine Abkehr von der Fünf-Tage-Woche zugunsten flexiblerer Arbeitszeitmodelle gefordert. Auf dieser Grundlage wird in den kommenden Jahren sicher ebenso über eine flexiblere Gewährung von Ruhetagen diskutiert werden. Bleibt zu hoffen, dass man nicht eines Tages angesichts der Rastlosigkeit der Gesellschaft die Frage stellt, ob Ruhe noch zeitgemäß ist. Denn in ihr liegt doch bekanntlich die Kraft.“ Kritische Anmerkungen von Christian Oberwetter vom 9. November 2017 bei Legal Tribune Online externer Link zum EuGH-Urteil vom 9. November 2017, Az. C 306-16
  • Diese EuGH-Interpretation der Arbeitzeitrichtlinie ist nicht nur völlig einseitig an dem Kapitalinteresse orientiert, den Gesundheitsschutz der Beschäftigten möglich hinten anzuordnen, sondern widerspricht auch dem Zweck der Richtlinie. Es geht nicht darum z.B. 6 Wochen keine Mindestruhezeit von 24 Stunden zu gewähren, um dann (vielleicht noch kurz vor Ablauf einer Befristung oder vor Kündigung) eine Woche Freistellung zu gewähren, sondern um den Schutz der Gesundheit WÄHREND der vereinbarten Arbeitszeit. Mit Blick u.a. auf Art. 153 Abs. 1a, Art. 168 Abs.1 AEUV und Art. 35 GRCh ist diese kapitalfreundlich „Öffnungsklausel“ nach EU-Recht eigentlich rechtwidrig.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=123781
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