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Moralischer Sieg des katalonischen Referendums bewegt auch regionale CCOO und UGT zum Generalstreik-Aufruf für 3. Oktober

Wahlbeteiligung der Polizei in Katalonien

16.000 Militär-Polizisten verletzen Hunderte, besetzen Schulen – die Terrorkampagne gegen das katalonische Referendum hat trotzdem verloren!  Generalstreik am 3. Oktober: Auch die großen Verbände rufen nun dazu auf!
Es gab keinen dummen Spruch, wie etwa „wer nicht wählt, wählt Spanien“ wie sie neulich noch hier zulande überall zu sehen waren, nur die Losung: Wählen ist unser Recht. Was dann auch,  trotz der Besetzung Hunderter von Schulen durch maskierte Gruppen, von über 2,2 Millionen Menschen zählbar gemacht wurde – das waren die Stimmen, die die Horden der Guardia Civil nicht beschlagnahmen konnten, bei 700.000 gelang ihnen der Klau, dennoch wurden rund 2,1 Millionen Stimmen für die Unabhängigkeit abgegeben. Der oberste Wahlhelfer im Madrider Minsterpräsidentenamt erklärte, er habe nur die Gesetze (der Franco-Monarchie) geschützt, womit er in seiner besonders klugen Art natürlich sofort die Frage beschwor, was das denn für Gesetze seien, die eine Wahl verbieten. Der spanische Nationalismus steht mit dem Rücken zur Wand, auch wenn sie zunehmend mehr mobilisieren, die sich für die von ihnen festgestellte Größe Spaniens die Kehle heiser schreien. Nicht nur die Großdemonstrationen im Baskenland zeigen dies (und etwa die Abordnungen der baskischen Feuerwehr zum Schutz katalonischer Wahllokale vor Rowdys in Uniform) – sondern auch erstmals seit langer Zeit massive entsprechende Bekundungen auch in Andalusien. Es ist schlicht – wie schon vor der Wahl abzusehen –  Tatsache, dass beim Referendum weit über die Reihen des Separatismus hinaus demokratische Kräfte mobilisiert wurden, dass es sich zunehmend um antifaschistisches Engagement handelte und handelt. Kennzeichnend für die Stimmung in Katalonien ist etwa der nun – nach langem Zögern – erfolgte Beschluss der regionalen Gewerkschaftsverbände von CCOO und UGT, sich dem Aufruf der Basisgewerkschaften zum Generalstreik am 3. Oktober anzuschließen, ganz entgegen der Haltung ihrer Zentralvorstände.  Siehe zur Situation am Tag nach dem Referendum eine Sammlung von Beiträgen:

Wahlergebnis und Zustandekommen

„El govern de la Generalitat anuncia que el 90% de los votos han sido favorables a la independencia“ am 02. Oktober 2017 bei kaosenlared externer Link dokumentiert, ist die offizielle Erklärung der Regierung in Katalonien zum Ergebnis des Referendums, bei dem rund 3 der 5,3 Millionen Wahlberechtigten abgestimmt haben. Davon seien laut dieser Erklärung rund 770.000 Wahlzettel von der Guadria Civil beschlagnahmt worden, von den 2,2 Millionen ausgezählten Stimmen waren 90% für die Unabhängigkeit – ein Ergebnis, das nun dem Parlament weiter geleitet werden, damit es die entsprechenden Schritte beschließen könne. 1.10.2017: Die Polizei hat freie Wahl in Katalonien

„Spanische Regierung ist an Kataloniens Bürgern gescheitert“ von Ralf Streck am 01. Oktober 2017 bei telepolis externer Link, worin anhand einer Geschichte die Situation beschrieben wird: „Das war ein Grund, warum zunächst die Schlangen noch länger wurden, weil das technisch Probleme gemacht hat und Webseiten, über die das stattfand, immer wieder abgeschaltet werden konnten. Doch auch dieses Problem wurde bald gelöst. Bilder von Menschen mit blutigen Gesichtern haben viele nicht abgeschreckt, sondern nur noch mehr mobilisiert, womit die Schlangen noch länger wurden. Eigentlich wollte zum Beispiel die Galicierin Elisa nicht abstimmen. Aus Protest vor dem Vorgehen „meiner spanischen Regierung“, hat auch sie sich dann noch in die lange Schlange eingereiht. „Ich habe ungültig gewählt“, sagt sie. Sie wollte weder gegen die Unabhängigkeit ihrer Heimat stimmen, noch für die Abtrennung von ihrer früheren Heimat. Dass man als Spanierin in Katalonien schlecht behandelt werde, wenn man die Sprache nicht spricht, sei „Schwachsinn“, sagt die Frau, die im Stadtteil Gracia einen kleinen Laden betreibt. Auch sie wurde nach der Wahl beklatscht, wie alle, ob sie Ja, Nein oder ungültig gewählt haben“.

„Civil Guard And Catalan Police Fight In Catalan Town“ am 01. Oktober 2017 bei The Spain Report externer Link ist Videobericht und Kurzkommentar vom Tage aus der katalanischen Kleinstadt Sant Joan de Vilatorrada, wo die Guardia Civil einmal mehr Wahllokale überfallen wollte – und von der katalanischen Polizei massiv daran gehindert wurde. In den Kommentaren ist auch davon die Rede, dass es solche Konfrontationen auch an anderen Orten gegeben habe.

wahlergebnis katalonien

„AS-IT-HAPPENED: Clashes at polling stations as Catalonia holds independence referendum“ am 01. Oktober 2017 bei The Local externer Link war, am Morgen des Abstimmungstages, ein erster Überblick über die da bereits serienweisen Überfälle vermummter Polizistengangs auf Wahleinrichtungen, die Bebilderung spricht schon für sich…

„El día en que votar volvió a ser peligroso“ von SATO DÍAZ am 01. Oktober 2017 bei Cuarto Poder externer Link ist ein weiterer Beitrag zum Polizeiterror gegen die Abstimmung, der eben die Schlußfolgerung zieht, es sei nun wieder gefährlich, wählen zu wollen.

„Das Problem sitzt in Madrid“ von Reiner Wandler am 01. Oktober 2017 in der taz externer Link ist ein Kommentar zu den Ereignissen am Tage, insbesondere zu den Repressionsversuchen der Zentralregierung unter Einsatz der Franco-Bullerei, worin festgehalten wird: „Es gab keinen Anlass für die brutalen Polizeieinsätze. Wo die Polizei nicht sofort eingriff, bildeten sich lange Schlangen. Die Menschen in Katalonien wählen, friedlich und in festlicher Stimmung. Die spanischen Innenbehörden haben die Wahllokale für ihre brutale Repression ausgesucht. Es waren diejenigen, in denen bekannte katalanische Politiker wie der Autonomiepräsident Carles Puigdemont oder die Parlamentspräsidentin Carme Forcadell wählen gehen. Ministerpräsident Mariano Rajoy reagiert auf ein politisches Problem mit dem Ausnahmezustand wie einst die Franco-Diktatur“.

Gewerkschaftliche Reaktionen

„CCOO, UGT, la ANC y Òmnium se suman a la huelga general del 3 de octubre“ am 01. Oktober 2017 bei kaosenlared externer Link dokumentiert, ist die Ankündigung dass die beiden größeren Gewerkschaftsverbände nun ebenfalls zum Generalstreik 3. Oktober aufrufen (was zuletzt eine offene Frage gewesen war, siehe den Verweis auf frühere Beiträge am Ende dieser Sammlung), und zwar gemeinsam mit den gutbürgerlichen katalanischen Organisationen, die die regionalen Regierungsstrukturen tragen.

„CGT Catalunya:”La represión está suspendiendo derechos fundamentales de l@s trabajador@s”“ am 30 . September 2017 bei kaosenlaredBasisgewerkschaften rufen zum Generalstreik in Katalonien am 3.10.2017, Studierendenverband ebenfalls externer Link ist ein Interview mit dem Sekretär des Gewerkschaftsverbandes CGT Katalonien, der darin ausführlich darauf verweist, dass die zahlreichen Repressionsmaßnahmen aus Madrid in den Tagen vor dem Referendum inhaltlich vor allem auf die Beseitigung von Rechten für die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung abzielen, was den Beschluss des Verbandes, für den 3. Oktober gemeinsam mit anderen Basisgewerkschaften zum Generalstreik aufzurufen, nochmals unterstütze…

„Co.bas Ensenyament ante el 1-O: contra la represión, por las libertades y los derechos laborales, huelga general el 3 de octubre!“  am 30. September 2017 von Co.Bas Ensenanza externer Link ist ein Beispiel für die in den Tagen rund um das Referendum ergangenen Aufrufe von Einzelgewerkschaften – hier eben der Bildungsgewerkschaft des Basisverbandes Co.bas – deren Föderationen zum Generalstreik am 3. Oktober aufgerufen haben.

Hintergründe

„La necesaria movilización de las fuerzas democráticas frente a los herederos del franquismo“ von Vicenç Navarro am 29. September 2017 bei rebelion.org externer Link (ursprünglich in Publico)  ist ein Beitrag der nochmals ausführlich darauf verweist, dass sowohl die aktuelle Politik, als auch und erst recht das politische System Spaniens eine direkte Erbschaft des Francofaschismus seien, was sich in jedem krisenhaften Moment erneut zeige.

Barcelona am 20.9.2017: Massendemo gegen Notstand„Katalanisches Referendum: Bruch mit Austerität und Autoritarismus“ von Mario Candeias im September 2017 in Rosalux externer Link, worin zur aktuellen politischen Bedeutung unter anderem hervor gehoben wird: „Die Katalan*innen haben ein Recht auf ein Referendum. Seit Jahren gärt es. Längst geht es nicht mehr nur um die alten nationalistischen Unabhängigkeitsbestrebungen, die sich auf den Verlust der katalanischen Unabhängigkeit im 18. Jahrhundert beziehen. Referenzpunkt ist bei vielen eher die Zeit der Republik in den 1930er Jahren und der »kurze Sommer der Anarchie«. Dies ist keine Selbstverständlichkeit. Über viele Jahrzehnte wurde der katalanische Nationalismus vorwiegend von der Bourgeoisie vertreten, einer im spanischen Vergleich reichen und mächtigen Bourgeoisie, die mit den Autonomiestatuten dem postfranquistischen spanischen Regime viele Zugeständnisse abringen konnte. Schließlich waren über Jahrzehnte viele Regierungen von PP und PSOE von der katalanischen Regionalpartei Convergència i Unió (kurz CiU) abhängig. Diese stellte auch jahrzehntelang den katalanischen Ministerpräsidenten. Doch seit Ausbruch der Krise und der gesellschaftlichen Mobilisierung seit 2011 veränderte die Bewegung für »wirkliche Demokratie« auch die Bewegung für Unabhängigkeit. Die Bewegung veränderte die Gesellschaft, doch es gelang ihr nicht die stabilen Institutionen der Macht in Madrid (und in Europa) zu erreichen. Es folgte die Eroberung der Institutionen in den Städten und Kommunen, allen voran Barcelona: Barcelona en Comù gewann die Wahlen und stellt mit Ada Colau, der ehemaligen Sprecherin der Plattform gegen Zwangsräumungen (PAH), die Bürgermeisterin. Doch die Auflagen des europäischen Austeritätsregimes und ihre repressive Durchsetzung durch die Regierung in Madrid begrenzen die Handlungsspielräume des neuen Munizipalismus (vgl. Zelik, Candeias/Bruchmann). Mehr und mehr setzte sich die Ansicht durch, dass die Rückgewinnung der Politik und eine notwendige demokratische Transformation nur durch den Bruch mit dem spanischen Staat zu erreichen sei. Dabei bestanden bis zuletzt durchaus Unterscheide in der strategischen Ausrichtung. Während die basisdemokratische Candidatura d´Unitat Popular (kurz CUP) schon immer für die Unabhängigkeit eintrat, vertraten Barcelona en Comù und ihr katalanisches Gegenstück En Comù Podem (der Zusammenschluss der regionalen Bewegungsplattformen und linken Parteien) eher das Recht auf die Abstimmung, ohne selbst für die Loslösung Kataloniens einzutreten“.

Fast alle Gewerkschaften rufen zum Generalstreik in Katalonien am 3.10.2017 auf„Traktor Katalonien“ von Raul Zelik in der Ausgabe 39/2017 des Freitag externer Link, der zur Grundsatzfrage Nationalismus oder Antifaschismus in der aktuellen Auseinandersetzung in seinem ausgesprochen lesenswerten Beitrag einleitend festhält: „Auf den ersten Blick scheint der katalanische Konflikt ein weiteres Beispiel für den wiedererstarkenden Nationalismus in Europa zu sein. Das Stereotyp lautet, reiche Katalanen wollten sich der Solidarität mit dem armen Süden verweigern. Doch tatsächlich liegt der Fall anders. Die Unabhängigkeitsbewegung, die in den letzten sieben Jahren in Katalonien entstanden ist, steht den europäischen Nationalismen in vieler Hinsicht diametral entgegen“.

Siehe u.a. zuvor dazu im LabourNet Germany:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=122127
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