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Emmanuel Macron, der Anti-Weihnachtsmann und die „Reform“-Wichtel

„Loi Macron“ – zwangsweise Sozialpartnerschaft nach Gusto der UnternehmerverbändeFrankreich bereitet sich auf eine neuerliche, regressive „Reform“ der Arbeitsgesetzgebung vor. Artikel von Bernard Schmid vom 21.7.2017, Langfassung eines Artikels, dessen gekürzte Version an diesem Freitag, den 21. Juli 17 in der Tageszeitung Neues Deutschland (ND) erschien – wir danken!

Unglücklicherweise sind es derzeit nicht die Lohnabhängigen in Frankreich, die am lautstärksten für ihre Interessen eintreten und um sie kämpfen, dort wo sie ihre Belange bedroht sehen. Der von viel publizistischem Widerhall und Donnergeräusch begleitete Rücktritt des französischen Generalstabschefs Pierre de Villiers, der seit einer Woche über Einsparungen im Rüstungshaushalt mit Staatspräsident Emmanuel Macron im Konflikt stand, lenkte die Aufmerksamkeit auf andere „Opfer“ der Austeritätspolitik. Vorübergehende „Opfer“, in diesem Fall, da der Rüstungshaushalt – nach einer Senkung um 850 Millionen Euro im laufenden Jahr – schon ab 2018 wieder um 1,5 Milliarden Euro steigen und dann bis auf zwei Prozent des BIP im Jahr 2025 klettern soll.

Die Interessenverbände der Lohnabhängigen – vulgo die französischen Gewerkschaften – vermögen es jedenfalls derzeit nicht, in dieser Lautstärke auf die Anliegen ihrer Basis aufmerksam zu machen. Die Armee hat für ihre Klientelpolitik durchaus eine Lobby; so wird Pierre de Villiers in seinem Konflikt mit Macron durch die konservative und die rechtsextreme Parlamentsopposition, jedoch kurioserweise auch durch den Linksnationalisten Jean-Luc Mélenchon der Rücken gestärkt. Dagegen scheinen zumindest Teile der Gewerkschaftsführungen derzeit entweder in ihren Reaktionen auf Regierungshandeln und –pläne paralysiert zu sein, oder aber Vorhaben von offizieller Seite zumindest teilweise zu unterstützen.

Grund zur Sorge gäbe es dabei durchaus. Nicht nur, dass die ab 2018 geplanten Steuersenkungen dem reichsten Zehntel der Bevölkerung allein zu 46 Prozent zugute kommen werden, wie die wirtschaftsnahe Wochenzeitschrift Capital errechnete. Vor allem jedoch müssen die Pläne zur erneuten „Reform“ des Arbeitsrechts, die sich zu der am 08. August 2016 nach heftigen Protesten in Kraft getretenen Loi travail hinzu summieren wird, für Beunruhigung sorgen.

Diese neuerliche, für die abhängig Beschäftigten sichtlich negativ ausfallende „Reform“ soll auf dem Verordnungswege durchgesetzt werden, was eine inhaltliche Debatte über die einzelnen Bestimmungen im Parlament ausschließt. Das eingesetzte Rechtsinstrument in Gestalt so genannter ordonnances – durch die Exekutive erlassene Verordnungen mit Gesetzeskraft – erfordert allerdings, dass vorab ein „Ermächtigungs“- oder „Befähigungsgesetz“ (loi d’habilitation), natürlich nicht im Sinne Adolf Hitlers 1933, die Exekutive pauschal dazu befugt. Und dass im Nachhinein das Parlament den einmal erlassenen ordonnances im Gesamtpaket zustimmt. Der Zeitrahmen dafür ist nun mittlerweile genau abgesteckt. Das „Befähigungsgesetz“ wurde am Abend des 13. Juli, kurz vor dem französischen Nationalfeiertag, bereits verabschiedet. Die Verordnungstext sollen laut Emmanuel Macron „bis zum Sommerende“ vorliegen, die Staatsspitze hat sich dabei bereits konket auf den 20. September 17 als Stichtag festgelegt. Die Ratifizierung durch das Parlament wird dann wohl im selben Aufwasch innerhalb von wenigen Tagen erfolgen.

Parallel zur Ausarbeitung der ordonnances werden, den ganzen Sommer über, die Verbände der so genannten Sozialpartner auf Gewerkschafts- wie auf Kapitalseite durch die Regierung angehört. Einzeln, nicht zusammen.

Neudefinition des Verhältnisses von (Schutz-)Gesetzen, Branchen- und Unternehmensvereinbarungen

In der Sache hat die Regierung eine Marschrichtung an drei Fronten festgelegt. Im ersten Kapital soll das Verhältnis von Gesetz, Branchen- und Unternehmensvereinbarungen neu bestimmt werden. Insbesondere die Arbeitszeitpolitik, aber mutmaßlich auch Themen wie Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sollen wesentlich stärker als bisher in die einzelnen Unternehmen ausgelagert werden. Der Schutz durch allgemeinverbindliche Gesetze oder Branchenkollektivverträge würde geschwächt werden oder entfallen. Allerdings öffnet die Regierung, sozusagen im Gegenzug, wiederum neue Verhandlungsfelder für den Branchenkollektivvertrag, die Entsprechung zum deutschen Flächentarif.

Letzterer soll etwa über Befristungsgründe für Arbeitsverträge – die per definitionem über die bisher bestehenden, gesetzlichen Befristungsmöglichkeiten hinausgingen – entscheiden dürfen. Dies bedeutet zwar einen geringeren Schutz als im bisherigen Zustand, auf Kosten des Spielraums der Gesetzgebung. Allerdings benutzt die Regierung diese Perspektive als Argument an die Adresse der Gewerkschaften, in dem Sinne, dass sie den Branchenkollektivvertrag ja gar nicht austrockne, sondern im Gegenteil Verhandlungen auf dieser Ebene neue Nahrung gebe. Der Gewerkschaftsdachverband FO (Force Ouvrière), der drittstärkste hinter der CGT und der CFDT mit politisch sehr schillerndem Profil, hat genau dies auch postwendend explizit begrüßt.

„Sozialer Dialog“, hahaha

Das zweite Kapitel betrifft den „sozialen Dialog im Unternehmen“. Darunter fällt insbesondere die geplante Zusammenlegung der verschiedenen Instanzen, die in französischen Unternehmen das Personal vertreten. Die délégués du personnel, gewählte betriebliche Vertrauensleute, und die comités d’entreprise (Unternehmensausschüsse) – sehr entfernte Verwandte des deutschen Betriebsrats, aber mit deutlichen Unterschieden – sollen demnach mit den Ausschüssen für Gesundheitsschutz, Arbeitssicherheit und Arbeitsbedingungen (CHSCT) zusammengelegt werden. Eventuell auch noch zusammen mit den délégués syndicaux, den durch die Verbände ernannten und teil-freigestellten Gewerkschaftsvertretern im Unternehmen, deren Besonderheit dadurch verschwinden bzw. in eine allgemeine Instanz hinein aufgelöst würde. (Vgl. dazu auch: http://www.latribune.fr/economie/france/reforme-du-code-du-travail-le-delegue-syndical-va-t-il-disparaitre-743691.html externer Link)

Oppositionelle Gewerkschaften wie Teile der CGT und Union syndicale Solidaires fürchten, dass Themen wie Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und Umweltschutz dann endgültig unter die Räder zu geraten drohen, wenn dieselbe Instanz über die „Rettung bedrohter Arbeitsplätze“ und über diese Themen – welch Letztere dabei dann leicht als Luxus erscheinen könnten – zu verhandeln hat.

Geplant ist, dass die Unternehmen (im Einklang zwischen Arbeit„geber“ und Gewerkschaften) zwar eine gegenläufige Option – zugunsten der Beibehaltung der bisherigen, drei respektive vier getrennten Instanzen/Organe – wählen „dürfen“. In diesem Falle sollen die beibehaltenen Organe jedoch keine Rechtspersönlichkeiten mehr besitzen; bislang stellten sowohl die gewählten Instanzen (Comité d’entreprise, délégués du personnel, CHSCT) als auch die Gewerkschaftsvertretungen in den Unternehmen je eigene juristische Personen dar. In Ermangelung einer jeweiligen eigenen Rechtspersönlichkeiten würden diese Organe in einem solchen Falle jedoch, anders als bisher, künftig nicht mehr die Arbeits- oder sonstige Gerichtsbarkeit anrufen können.

Ferner sollen in Unternehmen bis zu 50 Beschäftigten neue Verhandlungsmöglichkeiten geschaffen werden. Bis zu dieser Unternehmensgröße dürfen nach bisherigem Stand der Geesetzgebung keine délégués syndicaux, also Gewerkschaftsvertreter mit einer Teil-Freistellung für ihre Aufgaben, ernannt werden. Um dem Arbeitgeber jedoch Verhandlungspartner zu stellen, dürfen die Gewerkschaften allerdings bislang einzelnen Beschäftigten in diesen Unternehmen ein befristetes Mandat – das bis zum Ende der konkreten Verhandlung gilt – erteilen. (Man nennt diese salariés mandatés.)

Die Regierung plant nun jedoch, außergewerkschaftliche Akteure als Verhandlungspartner des Arbeitgebers zuzulassen, etwa auf gewerkschaftsfreien Listen gewählte betriebliche Vertrauensleute (délégués du personnel).

Davon befürchten sich alle Verbände, bis hin zum derzeit sonst betont regierungsfreundlich auftretenden Dachverband FO, eine weitere Verdrängung der Gewerkschaften aus kleineren und mittleren Unternehmen. Eine Alternative hätte darin bestanden, die Grenze von 50 Beschäftigten aufzuheben, um über teilfreigestellte Gewerkschaftsvertreter verfügen zu können. Dies kam jedoch für Regierung und Kapital nicht in Frage.

„Modernisierung des Arbeitsmarkts“

Das letzte Kapitel betrifft die so genannte „Modernisierung des Arbeitsmarkts“. Dazu zählt insbesondere das Vorhaben, einen neuen Vertragstypus einzuführen in Gestalt des contrat de projet.

Dabei handelt es sich um einen Abeitsvertrag ohne formale Befristung, der jedoch mit der Erreichung eines bestimmten Zwecks – etwa der Fertigstellung eines Computerprogramms oder der Beendigung eines Exportauftrags – automatisch ausläuft. Die Regierung preist dies dergestalt an, dass, Arbeitsministerin Muriel Pénicaud zufolge, dadurch die „unbefristeten“ Arbeitsverträge (CDI) wieder stärker zu Ungunsten der „befristeten“ (CDD) an Boden gewännen. Was ja, fährt Pénicaud in ihren öffentlichen Auftritten fort, von Vorteil für die Beschäftigten sei, wenn diese etwa einen Mietvertrag oder Wohnungskredit aushandeln möchten. Dabei handelt es sich um eine Mogelpackung sondergleichen, denn in Wirklichkeit führt es einen Selbstzerstörungsmechanismus in die „unbefristeten“ Arbeitsverträge (CDI) ein. Dabei gelten nicht einmal die bislang mit „befristeten“ Verträgen (CDD) existierenden Vorteile für die Beschäftigten; dazu zählen eine erheblich erschwerte Kündigung vor Ablauf der gesetzten Frist sowie eine „Prekaritäts-Entschädigung“ bei Beendigung des befristeten Arbeitsverhältnisses (in Höhe von zehn Prozent der gesamten Lohnsumme).

Auch sollen Abfindungszahlungen bei ungerechtfertigten, also illegalen Kündigungen auf für die Arbeitsgerichte verbindliche Weise gedeckelt werden. Das „Arbeitsgesetz“ von 2016 sieht bereits eine unverbindliche Deckelung vor. Der Deckel soll überdies tiefer heruntergeschraubt werden. Derzeit ist die Rede von einem Monatslohn Abfindung pro Jahr bisheriger Betriebszugehörigkeit, wobei ab spätestens zwanzig Jahren eine zusätzliche Gesamt-Obergrenze eingezogen werden soll. (Vgl. http://www.lepoint.fr/politique/indemnites-vers-un-plafonnement-d-un-mois-par-annee-d-anciennete-18-07-2017-2144065_20.php externer Link) Gerechtigfertigt wird dies mit der „Rechtssicherheit“… jener der sonst gerne als „risikofreudige Unternehmer“ gelobten Kapitaleigentümer.

  • Siehe dazu: Widerstand im Wartemodus
    Artikel von Bernard Schmid vom 21.7.2017 über die soziale (und politische) Opposition gegen die anstehende neuerliche Arbeitsrechts-„Reform“ in Frankreich sowie die Haltung der wichtigsten Gewerkschaftsdachverbände. Es ist eine Langfassung eines Artikels, dessen gekürzte Version an diesem Freitag, den 21. Juli 17 in der Tageszeitung Neues Deutschland (ND) erschien – wir danken!
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=119145
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