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Gewerkschaftliche Einheit und Einheitsgewerkschaft – ein Blick (auch über die Grenzen) aus Frankreich: SUD Solidaires

sud solidairesOb die Einheitsgewerkschaft eine große Errungenschaft ist oder nicht, wie eine auch inhaltliche bestimmte gewerkschaftliche Einheit zustande kommen kann – alle diese und ähnliche Fragen hängen von der Beurteilung aktueller Entwicklungen ebenso ab, wie von der jeweiligen Orientierung. Wobei der Beitrag „Invoquer l’unité, oui… la faire c’est mieux !“ von Christian Mahieux und Théo Roumier am 18. Juni 2017 in der Nummer 4 der SUD-Zeitschrift Utopiques externer Link etwa davon ausgeht, dass sich diese Frage in Frankreich wie anderswo gar nicht generell stellen kann, sondern in diesem Fall geprägt ist von der Haltung etwa im Kampf gegen die Reform der Arbeitsgesetze – wie er im letzten Jahr stattgefunden hat und in diesem Jahr, gegen Macrons „Loi travail II“, stattfinden muss. Wie soll man da eine Einheit mit einem Verband wie der CFDT herstellen, die diesen Kampf boykottiert hat und weiterhin boykottiert – selbst wenn es eine ganze Reihe ihr angeschlossener Organisationen gibt, die sich dem Vorstandsvotum, die Reformen zu unterstützen und zu gestalten, entzogen haben? Auf der anderen Seite zeigt sich am Beispiel des globalen Netzwerks für Solidarität und Kampf, dass durchaus unterschiedliche Orientierungen zusammen finden können: Wo nicht international angeschlossene Verbände ebenso mitwirken, wie solche aus dem Internationalen Gewerkschaftsbund oder dem Weltgewerkschaftsbund. Wir fassen den ausführlichen Artikel stark gekürzt auf Deutsch zusammen: „Für die Einheit eintreten, Ja. Besser: Herstellen“ 

„Für die Einheit eintreten, Ja. Besser: Herstellen“

Von Christian Mahieux und Théo Roumier
In „Utopiques“ Ausgabe Nummer 4, Februar 2017 (Auf der Webseite veröffentlicht mit Erscheinen der Nummer 5 im Juni 2017)

Ausgehend von dem allgemeinen Wunsch nach gewerkschaftlicher Einheit – der oft genug auch von jenen geäußert werde, die durchaus in der Lage wären, zumindest Schritte in diese Richtung zu unternehmen – skizzieren die beiden Autoren knapp die Zeiten, in denen ein solches Streben nach Einheit im Vordergrund stand und jene, in denen das nicht der Fall war. Es werden verschiedene Perioden der Geschichte der Gewerkschaftsbewegung in Frankreich zusammen gefasst, in denen diese Veränderung der Schwerpunkte jeweils sichtbar war.

Welche Einheit, wozu und auf welche Weise – seien die konkret entscheidenden Fragen, jenseits allgemeiner Deklarationen – und diese Fragen seien stets an die je aktuellen Auseinandersetzungen gebunden. So sei etwa beim Streik der Eisenbahner 2016 zwar eine Einheit zwischen CGT Cheminots, SUD Rail und der FO wirksam geworden sei – aber nur sehr begrenzt, weil eben die CGT sehr starkes Gewicht auf eine – nie zustande gekommene – Einheit mit CFDT und UNSA gelegt habe, ein Ergebnis strategischer Überlegungen. Da, wie etwa auch zuvor bei Streikbewegungen im Erziehungsbereich, sei die Intersyndicale, also der gemeinsam verabredete und koordinierte Kampf verschiedener Gewerkschaften, ein wesentliches Element der Auseinandersetzungen gewesen, die aber eben gerade kein Schritt der Gewerkschaftseinheit sei, auch wenn diese dabei stets „im Raum“ stehe.

Hindernisse, auch bei „gutem Willen“

Um größere und stärkere Einheit zu erreichen, sei es eine Grundvoraussetzung, die jeweils anderen Gewerkschaften nicht in eine Art politische Ecke zu stellen, oder politische Unterschiede unabhängig von der konkreten Situation zu unterstreichen. So sei es zwar einerseits unbestreitbar so, dass etwa CNT, CNT-SO und SUD Solidaires die Bestrebungen zur Selbstverwaltung sehr viel wichtiger fänden, als beispielsweise die CGT. Was aber nicht dazu führen dürfe, zu „übersehen“, dass es eben diese CGT Gewerkschafter waren und sind, die etwa die Besetzung und Betreibung von Fralib organisiert und realisiert hätten. Oder auch das Beispiel des Kampfes gegen das neue Arbeitsgesetz 2016 – bei dem der Gewerkschaftsbund CFDT einmal mehr die Regierungspolitik unterstützt und begleitet habe – aber eben andrerseits auch sehr deutlich geworden sei, dass ein nicht unwesentlicher Teil des Verbandes sich, entgegen den Vorstandsbeschlüssen, sehr intensiv an diesem Kampf beteiligt hätte.

Ein weiteres aktuelles Problem sei, so die Autoren, dass speziell nach dem Gesetz von 2008 über die gewerkschaftliche Vertretungen, die betrieblichen Gewerkschaftswahlen zu einer direkten Konkurrenz-Situation führten, da die Verlierer Gefahr liefen, in ihren gewerkschaftlichen Möglichkeiten zumindest stark eingeschränkt zu werden. Gemeinsame Listen seien seitdem seltener geworden, als sie es vorher waren – und man könne davon ausgehen, dass dies kein zufälliges Ergebnis dieser Reform gewesen sei. Insgesamt, so wird dabei geschlussfolgert, seien Gewerkschaftswahlen eher ein Hemmnis für, als ein Weg zur gewerkschaftlichen Einheit, das nur durch die Beispiele gemeinsamer inhaltlicher Plattformen bei verschiedenen Gelegenheiten umgangen worden sei.

Wolle man ein drittes Problem lösen, die Gegenüberstellung von „Einheit von oben oder von unten“ müsse man eben gerade die Erfahrungen mit den Intersyndicalen zur Geltung bringen: Eine gemeinsame inhaltliche, gewerkschaftspolitische Plattform sei das wesentliche Gerüst der gemeinsamen Aktion. Ob daraus aber dann wirklich eine gemeinsame Aktion oder gar mehr werden könne, entscheide sich erst danach, nämlich daran, ob und wenn ja, wie, der gemeinsame Kampf auch, wie weitgehend auch immer, gemeinsam organisiert werde, beginnend mit gewerkschaftsübergreifenden Arbeitsgruppen bis hin zu – viel mehr…

Die internationale Dimension der Einheit

Die grundlegende Unterscheidung werde auf internationaler Ebene schnell deutlich: Zwischen jenen zumeist politisch autonomen Gewerkschaften, die als Grundorientierung ihrer Arbeit das Streben nach einer besseren Gesellschaft aktiv verteidigten, und jenen, die sich auf Verteidigung unmittelbarer Bedürfnisse zu beschränken trachteten.

So sei, nicht erst, aber vor allem, seit der Krise, die 2008 begonnen habe,  immer deutlicher geworden, dass der Europäische Gewerkschaftsbund, fest in die Strukturen der Europäischen Union eingebettet, einer weitergehenden gewerkschaftlichen Orientierung zunehmend öfter im Wege stehe. So seien in den Nachbarländern Spanien (vor allem) aber auch Italien von den jeweiligen, dem EGB angehörenden großen Verbänden, Abkommen und Tarifverträge abgeschlossen und unterzeichnet worden, die nicht nur der Sache der Beschäftigten und Erwerbslosen nicht dienlich seien – und zwar in weit größerem und schädlicherem Ausmaß, als dies etwa in Frankreich durch die CFDT geschehen sei – sondern auch stets damit verbunden seien, die Rechte kleinerer Gewerkschaften zu beschneiden. Höhepunkt dieser Orientierung des EGB sei seine massive Unterstützung des griechischen Gewerkschaftsbundes GSEE gewesen, der beim Referendum für das „Ja“ zum Diktat der EU mobilisiert habe.

Was aber, auch auf dieser Ebene, nicht bedeute, dass es nicht auch andere Orientierungen von Gewerkschaftsverbänden, die dem EGB  angehören, gäbe. Die Entwicklung der Gewerkschaften in Belgien sei ein solcher Fall, wie auch etwa von Einzelgewerkschaften innerhalb des britischen TUC.  Im Falle des TUC, wie etwa auch der CGTP in Portugal, die beide dem EGB angeschlossen seien, gäbe es auch nach wie vor Branchenföderationen, die sich dem Weltgewerkschaftsbund angeschlossen hätten – wie dies auch Basisgewerkschaften wie die USB in Italien oder der baskische LAB getan hätten. Vor allem deswegen habe SUD Solidaires auch bei der Bildung des Internationalen Gewerkschaftlichen Netzwerkes für Solidarität und Kampf immer die Position verteidigt, vertreten und auch, durchaus erfolgreich, zu realisieren versucht, dass neben unabhängigen Gewerkschaften auch Organisationen und Verbände, die einer dieser beiden internationalen Föderationen angehörten, in dem Netzwerk ihren Platz haben.

Ist die Einheit machbar?

Es könne nicht darum gehen, Märchen zu verwirklichen, wird dazu einleitend hervor gehoben. Eine gewerkschaftliche Einheit, die von der CFDT bis zur CNT alle Richtungen umfasse, sei weder machbar, noch wünschenswert. Konkret könne heute über Einheit gesprochen und nachgedacht werden, bei jenen – zahlreichen – Gewerkschaften, die gemeinsam gegen das neue Arbeitsgesetz gekämpft hätten: CGT, SUD Solidaires, CNT-SO, CNT, FO, FSU, LAB (Baskenland), STC (Korsika), einige Verbände aus UNSA und CFDT, sowie einer Handvoll Betriebsgewerkschaften, wie etwa die SDEM (Demokratische Gewerkschaft der unzufriedenen Angestellten der Allianz Versicherungen).

Neben dem politischen Willen dazu gelte es, so die Autoren in ihrem abschließenden Abschnitt, organisatorische Prinzipien konkret umzusetzen.

Dass ein Prozess der Vereinheitlichung nicht nur „von unten“ und schon gar nicht nur „von oben“ stattfinden könne, sei die eine von drei Bedingungen, die erfüllt werden müssten – beziehungsweise, an ihrer Umsetzung und Konkretisierung gearbeitet.

Der zweite Problemkreis lasse sich definieren, dass es nicht sein könne, dass die Mitglieder verschiedener Gewerkschaften allesamt in eine andere Gewerkschaft eintreten. Aber auch eben nicht, dass sie einfach in eine neu konstruierte Organisation übergehen unter Aufgabe bisheriger Traditionen. Eine Reißbrettkonstruktion werde nicht funktionieren, die zu ewigen Umorganisationen führen werde [fragt der Übersetzer: Erinnert sich jemand an etwas in der BRD?], sondern es müsse eine konkrete Variante eines allmählichen Zusammen- und Hinüberwachsens gefunden werden.

Schließlich gehe es ganz zentral auch darum, die vielen sozialen Organisationen, die in den letzten Jahrzehnten auch aufgrund von Schwächen der Gewerkschaftsbewegung entstanden seien, in diesen Prozess mit einzubinden, nicht per Dekret oder Erklärung, sondern in gemeinsamer Anstrengung und Arbeit: Erwerbslosenorganisationen, Mietervereine, Koordinationen prekär Beschäftigter, ArbeitsmigrantInnen mit und ohne Papiere, um nur einige Beispiele zu nennen, seien solche Organisationen, die zu einem solchen Prozess dazu gehören, ihren Beitrag leisten und ihre Rolle spielen müssen. Auch hier gelte: Keine fertigen Organisationsvorstellungen „überstülpen“, sondern gemeinsam entwickeln, ausgehend von politischen Plattformen beispielsweise und deren möglicher Weiterungen.

(gekürzt Übersetzt und mit Zwischenüberschriften versehen von LabourNet Germany am 08. Juli 2017, nach der Online-Veröffentlichung)

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=118523
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