Whistleblower dürfen nicht zum Anwalt: Verfassungsbeschwerde gegen undurchdachten § 202d StGB – den „Datenhehlerei“-Paragrafen

Dossier

Kampagne „Whistles for Whistleblowers“Heute (18.12.16) vor einem Jahr trat der neue Straftatbestand der Datenhehlerei § 202d StGB inkraft. Die Vorschrift war im Gesetz zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung quasi als Malware ins Strafgesetzbuch eingeschleppt worden. Wer nicht allgemein zugängliche Daten, die ein anderer rechtswidrig erlangt hat, in Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht hortet und weitergibt, muss mit bis zu drei Jahren Haft rechnen. (…) Für einige der „Datenhehler“ statuiert § 202d Abs. 3 StGB Ausnahmen von der Strafbarkeit, nämlich für Amtsträger oder für Journalisten (§ 53 bs. 1 Nr 5 StPO) – nicht aber für andere normalerweise Zeugnisverweigeurngsberechtigte wie etwa Rechtsanwälte. Ein Blogger, dem jemand etwas geleakt hat, dürfte „seine“ brisanten Daten also einzig Beamten oder Pressevertretern zeigen, nicht aber IT-Fachleuten oder Rechtsanwälten. (…) Damit verstößt das Gesetz gegen den verfassungsrechtlich anerkannten Grundsatz der freien Advokatur. Nunmehr hat der Berliner Rechtsanwalt Ulrich Kerner Verfassungsbeschwerde gegen § 202d eingelegt…Beitrag von Markus Kompa bei telepolis vom 18. Dezember 2016 externer Link. Siehe dazu:

  • Bundesverfassungsgericht: Datenhehlerei-Paragraf darf Journalistinnen und Reporter nicht kriminalisieren – theoretisch. Das Urteil und ein Kommentar von Armin KammradNew
    „Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass sich Journalistinnen und Journalisten nicht strafbar machen, wenn sie „geleakte“ Daten entgegennehmen. Das Gericht nahm zwar formal eine Verfassungsbeschwerde gegen den Straftatbestand der Datenhehlerei nicht zur Entscheidung an. Nach Ansicht von Reporter ohne Grenzen (RSF) muss der Gesetzgeber deshalb nachbessern und mehr Rechtssicherheit herstellen. RSF begrüßt jedoch die Begründung des Gerichts, die deutlich macht, dass der Datenhehlerei-Paragraf Journalistinnen und Reporter nicht kriminalisieren darf. (…) „Die Ausführungen der Kammer haben Signalwirkung und stellen klar, dass der Datenhehlerei-Paragraf nicht so ausgelegt werden darf, dass dadurch wichtige Teile der Arbeit investigativer Journalistinnen und Reporter sowie ihrer Informantinnen und Helfer kriminalisiert werden. Zusätzliche Klarheit versprechen wir uns durch das weiterhin beim Zweiten Senat anhängige Verfahren. Gleichzeitig appellieren wir an den Gesetzgeber, den Wortlaut der Vorschrift im Sinne der Pressefreiheit nachzubessern und damit mehr Rechtssicherheit herzustellen, sowohl für die Arbeit investigativer Journalistinnen und Journalisten als auch für deren Hilfspersonen und Quellen.“ Der 2015 eingeführte Datenhehlerei-Paragraf 202d Strafgesetzbuch stellt den Umgang mit Daten unter Strafe, die zuvor rechtswidrig erlangt wurden. Die Norm sollte nach Absicht des Gesetzgebers vorrangig den Handel mit gestohlenen Kreditkarten- oder Nutzerdaten bekämpfen. Aufgrund der ungenauen Formulierung des Gesetzes erfasst sie darüber hinaus aber auch das Sich-Verschaffen, die Überlassung und Verbreitung elektronisch gespeicherter Daten, die von Whistleblowerinnen und Whistleblowern weitergegeben wurden. Auch aufgrund massiver Kritik von Presse-Verbänden beschloss der Bundestag eine Ausnahme für Medienschaffende. Er beschränkte diese jedoch auf berufliche Handlungen, mit denen Daten entgegengenommen, ausgewertet oder veröffentlicht werden. Laut Bundesverfassungsgericht „dränge sich auf, dass ein umfassender Ausschluss journalistischer Tätigkeiten bezweckt wird“. Der Tatbestandsausschluss ziele darauf ab, dass eine journalistische Handlung auch dann nicht unter Strafe gestellt wird, wenn Recherchen gegebenenfalls unergiebig sind und es im Ergebnis nicht zu einer Veröffentlichung kommt…“ Pressemitteilung vom 16. Juni 2022 von und bei Reporter ohne Grenzen (RSF) externer Link („Verfassungsgericht stärkt Pressefreiheit“) und dazu:

    • Zu den Details des Nichtannahmebeschlusses Az. 1 BvR 2821/16 vom 30. März 2022 der 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG externer Link siehe die Veröffentlichung bei REWIS RS 2022 (am 15. April 2022 wurde unter 1 BvR 2821/16 die Beschwerde von drei Beschwerdeführen unter Az. 2 BvR 702/20 abgetrennt zur separaten Behandlung durch den 2. Senat)
    • Dazu ein Kommentar von Armin Kammrad vom 18. Juni 2022
      Handelt es sich in dieser Entscheidung vom 30. März, die sich seltsamerweise nicht in der öffentlich zugänglichen Entscheidungssammlung des BVerfG befindet und deshalb erst über Umwege öffentlich bekannt wurde, wirklich um eine Stärkung der Pressefreiheit? Dies lässt sich vielleicht so sehen, wobei ich eher von einer Verteidigung bestehender Standards zu Art. 5 GG sprechen würde. Aber auch da habe ich nach Studium des Beschlusses meine Bedenken. Warum?
      Zunächst erscheint mir wichtig auf die Gründe der 2. Kammer des Ersten Senats kurz einzugehen, warum die Beschwerde unzulässig sein soll. So sollen die Beschwerdeführenden, nach Ansicht der Kammer, „die Möglichkeit einer Verletzung von Grundrechten durch die angegriffenen Regelungen nicht hinreichend substantiiert dargelegt haben“ (Rn. 14). Sie hätten „nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechend dargelegt, beschwerdebefugt zu sein“ (Rn. 15). Dies kann Verwunderung auslösen. Denn verlangt doch § 92 BVerfGG nur: „In der Begründung der Beschwerde sind das Recht, das verletzt sein soll, und die Handlung oder Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt, zu bezeichnen.“ Auch § 23 BVerfGG verlangt nur ganz allgemein eine Begründung und die Angabe von Beweismitteln.
      Hinzuweisen ist hier zunächst darauf, dass umstritten ist, wie umfangreich eine Verfassungsbeschwerde, die laut § 90 (1) BVerfGG „Jedermann mit der Behauptung, durch die öffentlich Gewalt in einem seiner Grundrechte (…) verletzt zu sein“ einlegen kann, begründet werden muss. Hier erweitert die Kammer § 23 und § 92 BVerfGG um die Forderung nach einer umfangreichen „substantiiert(e)“ Begründung, die bereits ein Normalsterblicher – und in dem Fall sogar Fachjuristen – kaum erfüllen können bzw. erfüllt haben sollen (vgl. Rn. 16). Grundsätzlich sollte aber gelten, dass eine Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs.1 Pkt. 4a GG überhaupt noch für „jedermann“ möglich sein muss, um noch als verfassungsgemäß bezeichnet werden zu können.
      Das könnte als ein spezielles Problem „richterlicher Rechtsfortbildung“ betrachtet werden, begründet die Kammer doch durchaus auch inhaltlich seine Sichtweise auf den strittigen § 202d StGB zu „durch eine rechtwidrige Tat“ erlangte Daten (Datenhehlerei) – zumindest teilweise. Denn leider ersetzen in der Begründung die angeblich fehlenden formalen Voraussetzungen für eine Annahme häufig die inhaltliche Wertung. Überhaupt behauptet die Kammer nicht nur, dass den Beschwerden die für eine Annahme erforderlichen formalen Voraussetzungen fehlen, sondern unausgesprochen auch, dass es sich hier gar nicht um eine Frage von „grundsächliche(r) verfassungsrechtliche(r) Bedeutung“ handeln würde. Denn die darf nach § 93a BVerfGG nur der komplette Senat entscheiden; wie überhaupt Entscheidung bei Verfassungsbeschwerden, die ein Gesetz betreffen.
      Etwas befremdlich ist auch, dass die Kammer sich wiederholt auf die Absichtserklärungen des Gesetzgebers beruft, also wie das Gesetz verstanden und interpretiert werden sollte – und nicht auf das, was im Gesetz steht und vorrangiger Anlass der Beschwerden ist. So drängt sich der Kammer – mit Bezug auf BTDrucks 18/5088, S. 48 – „Anbetracht der weiteren Gesetzesbegründung (…) entgegen der Annahme der Beschwerdeführer auf, dass ein umfassender Ausschluss journalistischer Tätigkeiten bezweckt wird“ (Rn. 24). Aber warum steht dieser „umfassende() Ausschluss“ nicht im Gesetz? Ist es nicht ein juristischer Allgemeinplatz, dass das, was gesetzlich nicht ausgeschlossen wurde, erlaubt ist? Aber die verantwortliche Politik wird es schon richten – und der Glaube kann bekanntlich Berge versetzen, u.U. auch den großen Brocken unabhängiger juristischer Prüfung.
      Die Haltung der Kammer lässt sich in meinen Augen so zusammenfassen, dass zwar – wie bisher – die Pressefreiheit garantiert bleiben soll, die strafrechtliche Verfolgung von rechtswidrig erlangten Daten jedoch durchaus Eingriffe in die Pressefreiheit erlauben kann. Der Einschüchterungseffekt, den die Kammer nicht erkennen will, bleibt also sehrwohl erhalten, auch wenn Journalisten sich nicht „als Vortäter (…) nach § 202d StGB strafbar machen“ können (Rn. 27). Nicht „Vortäter“, aber evtl. als Täter oder Mittäter? Es mag sein, dass im Streitfall entlastend in Rechnung gestellt wird, dass „ein Journalist eine rechtwidrige Beschaffung der Daten aufgrund ihrer Sensibilität nicht ausschließen kann“ (Rn. 22). Doch muss er das überhaupt? Strafbar ist nach § 202d StGB, wer rechtswidrig Daten sich beschafft, „um sich oder einen Dritten zu bereichern oder einen anderen zu schädigen“. Die Schädigung ist bei Whistleblowing fast immer der Vorwurf der Gegenseite, weshalb hier meist Privatinteressen gegen Interessen der Öffentlichkeit stehen. Bereicherung ist beim Enthüllungsjournalismus oft in Gestalt „Infos gegen Geld“ Standard. Strittig bleibt so nur die Wertung bezüglich subjektiver Gründe. Vor vielen Jahren erfolgte konkret auch eine Hausdurchsuchung bei LabourNet, die dann mühevoll nach ein Jahr zwar als rechtwidrig richterlich beurteilt wurde. Aber da gab es auch noch nicht § 202d StGB.
      Doch die Kammer will das alles nicht sehen. Sie konstruiert lieber eine unrealistisch Situation, die sogar als Themenverfehlung bezeichnet werden kann: „Regelmäßig dürfte es bereits an der rechtswidrigen Tat eines anderen im Sinne des § 202d Abs. 1 StGB fehlen, durch die die Daten erlangt wurden. Handelt es sich bei dem Informanten um einen an sich berechtigten Mitarbeiter des Betroffenen, der auf die übermittelten Daten zugreifen kann, kann sich der Mitarbeiter und Informant durch die Weitergabe der Daten strafbar gemacht haben. Er hätte die Daten aber nicht durch eine rechtswidrige Tat erlangt, da er schon zuvor auf sie zugreifen konnte.“ (Rn. 21) Das ist wenig tröstlich – und setzt vor allem mehr Schutz beim Whistleblowing voraus, als er bisher gegeben ist.
      Es wäre ja schön, wenn z.B. die Veröffentlichung von als „geheim“ eingestufter Daten nicht strafbar wäre. Aktuell gibt es den skandalösen Fall von Assange, der nur deshalb ausgeliefert und in den USA wegen Gesetzesverstoß verurteilt werden soll, weil er genau das gemacht hat, was die Kammer als unproblematisch ansieht. Die USA beruft sich auf Gesetze, die sogar manifeste Eingriffe in die Pressefreiheit erlauben sollen. Edward Snowden musste wegen der Veröffentlichung von geheimen US-Daten, auf die „er schon zuvor (…) zugreifen konnte“ zu Putin flüchten. Von was spricht da überhaupt die 2. Kammer? Was besagt hierzu ein Blick auf § 202d StGB? Natürlich wird nicht jeder Journalist belangt, der Daten veröffentlicht, die als strafbewehrt gelten. Nur schließt dies § 202d StGB iVm 97 Abs 2 StPO nicht eindeutig aus. Die diesbezüglichen Verfassungsbeschwerden sind also berechtigt, und deshalb hätte die 2. Kammer des Ersten Senats schon aus grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Überlegungen die Annahme nicht verweigern dürfen. Allerdings bleibt im Moment noch der Zweite Senat, dessen Entscheidung zu den drei ausgelagerten Fällen noch aussteht. Ich bin gespannt, mache mir jedoch nach der Entscheidung der 2. Kammer des Ersten Senats, der die Auslagerung ja beschloss, wenig Hoffnung.“ Wir danken!
  • Neue Verfassungsbeschwerde gegen Anti-Whistleblowing-Paragrafen „Datenhehlerei“
    Mit einer Pressekonferenz haben die Gesellschaft für Freiheitsrechte, Reporter ohne Grenzen und netzpolitik.org heute ihre Verfassungsbeschwerde gegen den „Datenhehlerei“-Paragrafen vorgestellt. Der von der großen Koalition geschaffene Straftatbestand (§ 202d StGB) stellt den Umgang mit „geleakten“ Daten unter Strafe, ohne für angemessenen Schutz der Presse zu sorgen. Damit kriminalisiert das Gesetz einen wichtigen Teil der Arbeit investigativer Journalisten und Blogger sowie ihrer Informanten und Helfer…Beitrag von Katharina Meyer vom 13. Januar 2017 beim Whistleblower-Netzwerk externer Link. Siehe dazu

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=109003
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