Bundesarbeitsgericht zur Teilnahme an einem Personalgespräch während der Arbeitsunfähigkeit

Mag Wompel: Jagd auf Kranke - Rückkehrgespräche auf dem Vormarsch„… Da der erkrankte Arbeitnehmer während der Arbeitsunfähigkeit seiner Arbeitspflicht nicht nachkommen muss, ist er grundsätzlich nicht verpflichtet, im Betrieb zu erscheinen oder sonstige, mit seiner Hauptleistung unmittelbar zusammenhängende Nebenpflichten zu erfüllen. Während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit ist es dem Arbeitgeber allerdings nicht schlechthin untersagt, mit dem erkrankten Arbeitnehmer in einem zeitlich angemessenen Umfang in Kontakt zu treten, um mit ihm im Rahmen der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen die Möglichkeiten der weiteren Beschäftigung nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit zu erörtern. Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber hierfür ein berechtigtes Interesse aufzeigt. Der arbeitsunfähige Arbeitnehmer ist jedoch nicht verpflichtet, hierzu auf Anweisung des Arbeitgebers im Betrieb zu erscheinen, es sei denn, dies ist ausnahmsweise aus betrieblichen Gründen unverzichtbar und der Arbeitnehmer ist dazu gesundheitlich in der Lage. Nachdem die für die Unverzichtbarkeit des Erscheinens im Betrieb darlegungs- und beweispflichtige Beklagte solche Gründe nicht aufgezeigt hat, musste der Kläger der Anordnung der Beklagten, im Betrieb zu einem Personalgespräch zu erscheinen, nicht nachkommen. Die Abmahnung ist daher zu Unrecht erfolgt, weshalb der Kläger ihre Entfernung aus der Personalakte verlangen kann.“ BAG-Pressemitteilung Nr. 59/16 zum Urteil 10 AZR 596/15 vom 2. November 2016 externer Link und Kommentar von Alfons Kilad vom 13. November 2016: Was bedeutet dieses Urteil für erkrankte abhängig Erwerbstätige (AN)?

Was bedeutet dieses Urteil für erkrankte abhängig Erwerbstätige (AN)?

Obwohl in den Medien das BAG-Urteil viel Resonanz erfuhr, fand ich keine Bewertung, die mich – besonders mit Blick auf erkrankte AN – wirklich zufriedenstellte.

So ist zunächst wichtig zu beachten, dass die Abmahnung nicht nur wegen Ablehnung eines Personalgesprächs aufgrund von Erkrankung erfolgte. Wie aus der BAG-Pressemitteilung hervorgeht, verlangte die AG-Seite vom AN „gesundheitliche Hinderungsgründe durch Vorlage eines speziellen ärztlichen Attests nachzuweisen“, was der erkrankte AN ebenfalls ablehnte. Damit war bereits nach bisheriger Rechtsprechung die Abmahnung rechtswidrig. Denn weder ist der behandelnde Arzt verpflichtet, noch besteht für den erkrankten AN die Möglichkeit – und damit logischerweise ebenfalls keine Verpflichtung -, solches Attest für den AG auszustellen bzw. ausstellen zu lassen. Es obliegt allein dem Arzt festzustellen, ob Arbeitsfähigkeit existiert, was in Ausnahmefällen auch von der Art der Arbeitsverpflichtung abhängen kann (z.B. trotz Gelenkerkrankung ist sitzende Tätigkeit möglich). Dass das BAG betont, dass ein erkrankter AN „seiner Arbeitspflicht nicht nachkommen muss“, ist ebenfalls – rechtlich betrachtet – ein „alter Hut“. Allerdings macht das BAG ein weiteres „Fass auf“, obwohl bereits ohne dem von der Sachlage her die Abmahnung eindeutig rechtswidrig war.

Die Philosophie des BAG, dass es dem AG trotz Erkrankung des AN erlaubt sein könnte „in einem zeitlich angemessen Umfang in Kontakt zu treten“, sofern das AG-Interesse berechtigt ist, ist genauso absurd, wie die BAG-Annahme von betrieblichen Gründen, die ein Erscheinen des erkrankten AN rechtfertigen könnten. Warum dies absurd ist? Allein schon deshalb, weil das BAG seine Pflicht zum Erscheinen selbst wieder einschränkt, in dem es diese davon abhängig macht, dass der AN „dazu gesundheitlich in der Lage“ sein muss (was nichts weiter als eine Selbstverständlichkeit ist). Objektiv betrachte, ist das letztlich nur eine Aufforderung an findige AG-Anwälte „unverzichtbare“ betriebliche Gründe zu suchen, damit der erkrankte AN doch vom AG durch Anrufe, Briefe, Emails oder gar Besuche im „zeitlich angemessenen Umfang“ genervt oder gar in den Betrieb einbestellt werden kann. Dies mag sich alles nachträglich als rechtwidrig herausstellen, weil die Gründe nicht ausreichen. Aber es setzt den erkrankten AN unter Druck (und schafft außerdem unnötige Beschäftigungsgründe für die Instanzengerichte). Vor allem fehlt beim BAG eines völlig: Den „Anregungen“ für den AG an neuen Möglichkeiten krankgeschriebene AN zu nerven (oder gar bewusst zu schikanieren), steht keine Beachtung der (in diesem Zusammenhang) geltenden Rechte der AN gegenüber. Welche sind das genau?

Erstens hat der erkrankte AN sogar die Verpflichtung auf möglichst schnelle Genesung zu achten, um eben möglich bald wieder gesund und damit arbeitsfähig zu sein. Es ist also nicht die Frage, ob man gesundheitlich gerade noch in der Lage ist, sich zur betrieblichen Besprechung zu schleppen oder ob man den Ausführungen des AG (oder seiner Vertretung) gerade noch folgen kann. Es ist vor allem wichtig, was diese ganze „dringende“ betriebliche Problematik für den Fortschritt der Genesung bedeutet. Es ist deshalb praktisch gesehen eher andersherum, als dass BAG annimmt: So ist zwar denkbar, dass man trotz Erkrankung vielleicht „dem Chef“ fernmündlich noch kurz mitteilen kann, wie der letzte Stand der Arbeit vor Erkrankung war. Für schwierige betriebliche Probleme fehlt einem aus gesundheitlichen Gründen jedoch einfach die Kraft. Außerdem ist es eine nahezu immer geltende Regel im Arbeitsrecht, dass man das, was man frei vereinbart, auch halten muss. Wer hinterher das bereut, was er im Zustand seiner Erkrankung vereinbart hat, wird kaum vor Gericht Recht bekommen. Hier gilt in der Regel der Grundsatz (sinngemäß): „Ja, wenn Sie sich dazu gesundheitlich gar nicht in der Lage fühlten, warum haben Sie es dann trotzdem gemacht?“ Weil das nun das BAG so vorschreibt? Zumindest fehlt dort, dass es vielleicht nicht dem AG „schlechthin untersagt“ ist  Kontakt aufzunehmen, aber keine großen „Erörterungen“ über die weitere Beschäftigung stattfinden können und müssen, wenn dies krankheitsbedingt nicht möglich und der Genesung abträglich ist.

Zweitens liegt der gesamte betriebliche Ablauf ebenso im alleinigen Verantwortungsbereich des AG, wie die möglichst rasche Genesung im Verantwortungsbereich des AN. So betrachtet, fallen mir beim besten Willen keine Gründe ein, warum der AG aus „dringenden“ betrieblichen Gründen nicht Rücksicht auf die Erkrankung „seines“ AN nehmen sollte. Auch hier ist es rechtlich eher umgekehrt: Wer es gut meint und sich krank in die Arbeit schleppt, macht dies in Eigenverantwortung und wird – besonders im Streitfall – kein Verständnis für seine Gutmütigkeit finden, wenn das seiner Gesundheit weiteren Abbruch getan hat (auch wer übrigens unaufgefordert permanent Überstunden macht und deshalb dann irgendwann erkrankt, ist für sein Tun selbst verantwortlich). Natürlich hat der AG eine Fürsorgepflicht, aber die „übersieht“ das BAG. Sind die vom BAG abstrakt eröffnete Möglichkeiten der Belästigung von kranken AN nämlich rechtswidrig, kann der betroffene AN unter Umständen Schadensersatz geltend machen. Aber diese rechtliche Konsequenz erwähnt das BAG genau nicht und verbleibt beim „Recht“ des AG, es ohne rechtliche Konsequenzen einfach mal zu probieren. Allerdings kann derjenige, der vom AG zur Zusammenkunft trotz Krankheit aufgefordert wird, klarstellen, dass er dann, wenn er bezüglich seiner Genesung dadurch Nachteile hat, er dies durch Schadensausgleich geltend machen und gegenüber der Krankenkasse als „Fremdverschulden“ deklarieren kann. Dies ergibt sich sogar aus dem Urteil, jedoch leider nur indirekt bzw. bleibt unerwähnt. Denn nirgends fordert das BAG etwas, was man krankheitsbedingt nicht leisten kann. Es kreiert nur leider eine für AN schwer zu durchschauende Rechtslage.

Damit sollte also klar sein, wie erkrankte AN mit diesem BAG-Urteil umgehen sollten. So sollte man besonders die evtl. liebgewordene Verhaltensweise, dem AG den Grund für seine Erkrankung mitzuteilen, obwohl dazu keine Verpflichtung besteht, unbedingt aufgeben – aber auch keine Erkrankung erfinden. Wer z.B. seine psychische Erkrankung auf keinen Fall „publik machen“ will und deshalb Grippe vorschiebt, sollte sich besser angewöhnen, bereits bei einer Grippe auf zu viel Offenheit zu verzichten. Bereits bisher bemühten sich manche AG die Erkrankung des AN in Frage zu stellen, weil sie den krankgeschriebenen AN beim Tanken, Einkaufen oder gar auf einem Volksfest gesehen haben. Obwohl besonders bei psychischer Erkrankung Ärzte sogar empfehlen, sich nicht in den häuslichen Vierwände zu verstecken, ist die Rechtsprechung hier oft fragwürdig. Frische Luft mag zur Gesundung beitragen, AG sehen das manchmal anders – und leider auch teilweise die Gerichte. Durch das BAG-Urteil verschärft sich somit auch diese Auseinandersetzung: Kann nicht der AN, der gutgelaunt spazierengeht, obwohl er krankgeschrieben ist, nicht auch zur Besprechung in den Betrieb kommen? Nur, grundsätzlich ändert sich dadurch nichts. Frische Luft ist sicher mehr gesundheitsfördernd, als komplizierte Gespräche über betriebliche Abläufe bei Erkrankung (wobei „dank“ BAG nun noch die Vorfelddebatte hinzukommt, ob die sofortige Besprechung wirklich „unverzichtbar“ ist). Das einzig was diese abstrakte Abweichung des BAG vom Grundsatz „krank ist krank“ somit nur gebracht hat, ist eine unnötige Verkomplizierung einer eigentlich eindeutigen Rechtslage.

Kommentar von Alfons Kilad vom 23. November 2016 – wir danken!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=107566
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