Alles kann, nichts muss. IG Metall diskutiert über Positionen zur Bundestagswahl. Statt klarer Forderungen gibt es »Empfehlungen« und »Angebote an die Politik«

Artikel von Daniel Behruzi aus der jungen Welt vom 01.10.2016 – wir danken!

23. Ordentlicher Gewerkschaftstag der IG MetallMan will keinem weh tun. Besonders nicht den Sozialdemokraten. Das ist ganz offensichtlich die Intention des Entwurfs eines Positionspapiers zur Bundestagswahl, der derzeit in der IG Metall für Kontroversen sorgt. Statt zugespitzter Forderungen finden sich darin eine Vielzahl kleinteiliger »Empfehlungen« und »Angebote an die Politik«. Motto: Alles kann, nichts muss.

Schon der Titel des 27seitigen Papiers ist bezeichnend: »Politik für alle – sicher, gerecht und selbstbestimmt«. Vom Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit keine Spur. Statt dessen wird deutlich, dass die IG-Metall-Spitze wie bisher auf ihre korporatistische Einbindung in den Politikbetrieb setzt. Deshalb steht in jedem der acht thematischen Abschnitte nicht nur, was »wir von der Politik brauchen«, sondern auch, was die IG Metall dazu beiträgt. Die Botschaft: die Gewerkschaft ist mit von der Partie, nicht Gegenpol, geschweige denn Kontrahent.

Gleich auf der ersten Seite des vom Fachbereich Grundsatzfragen und Gesellschaftspolitik beim IG-Metall-Vorstand entworfenen Papiers heißt es: »Wir profitieren von der Globalisierung, sie ist unverzichtbarer Teil unseres Wohlstands.« Dabei hatte der Gewerkschaftstag der IG Metall erst im Oktober 2015 festgestellt, dass sich das Kräfteverhältnis zwischen Unternehmen und Beschäftigten im Zuge der Globalisierung zugunsten ersterer verschoben habe. Die Belegschaften sind erpressbarer geworden, seit Produktion und Dienstleistungen leichter in andere Länder verlagert werden können. Auch wenn der Rückzug auf den Nationalstaat keine Alternative ist: Differenzierung anstelle des Gegensätze verkleisternden »Wir« wäre angebracht.

Im als Diskussionsgrundlage deklarierten Entwurf wimmelt es nur so vor Allgemeinplätzen. Zum Beispiel: »Das Europa von morgen lässt sich nicht als Wirtschaftsunion mit politischen Anhängseln verordnen, sondern wird es nur als demokratisch legitimiertes und soziales Europa geben.« Kritik an der maßgeblich von Berlin verordneten Kürzungs- und Privatisierungspolitik in Griechenland, Spanien und anderswo sucht man vergebens. Dabei hat die nicht nur in den betroffenen Ländern zu Massenarmut geführt und die Gewerkschaften geschwächt. Das Schweigen der IG-Metall-Spitze in diesem Zusammenhang passt zu ihrer grundsätzlichen Ausrichtung: Gemeinsam sollen Unternehmen und Gewerkschaften die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Standorte stärken. Am industriellen Niedergang und an der grassierenden Massenarbeitslosigkeit in Südeuropa lässt sich ablesen, dass das auf Kosten der Kollegen anderer Länder geht.

Die IG Metall unter ihrem Vorsitzenden Jörg Hofmann versteht sich in erster Linie als Interessenvertreterin der Kernbelegschaften ihres Organisationsbereichs. Das zeigt sich zum Beispiel beim Thema Rente. Im entsprechenden Kapitel des Papiers steht gleichberechtigt neben der Forderung nach Stärkung der gesetzlichen Rente die nach »Betriebsrente für alle«. Der Gesetzgeber müsse »die Möglichkeit für branchenbezogene, tarifliche Lösungen für die betriebliche Alterssicherung schaffen« und unter anderem die Unternehmen zu einem finanziellen Beitrag verpflichten.

Das darf als direkte Wahlkampfhilfe für Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) verstanden werden, die erst vor wenigen Tagen eine Einigung mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zur Reform der Betriebsrenten präsentierte. Diese enthält sowohl Verbesserungen als auch Verschlechterungen. Entscheidend ist aber, dass die Debatte von der eigentlichen Frage ablenkt: der Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung. Bei diesem zentralen Konfliktthema geht es zum einen um die Stabilisierung und Anhebung des Rentenniveaus, was in den Empfehlungen immerhin erwähnt wird (die Anhebung allerdings nur als »langfristiges« Ziel). Zum anderen müsste es um die Rücknahme der Rente mit 67 gehen. Statt dies zu fordern, erklären die Autoren lediglich, es seien eine »erreichbare Regelaltersgrenze und passgenaue Übergangsoptionen vor dieser Grenze« vonnöten. Sicher ist: Dem Problem der Altersarmut von prekär Beschäftigten und Niedriglöhnern ist mit besseren Betriebsrenten nicht beizukommen.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=105180
nach oben