Krankenkassen-Zusatzbeitrag: 55 Euro mehr im Monat? [Oder zurück zur Parität?]

Medizin und Ökonomie„… Jürgen Wasem ist Professor für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen. Derzeit macht er in deutschen Zeitungen mit einer Berechnung Schlagzeilen, der zufolge der 2015 von der Großen Koalition eingeführte Zusatzbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung, den die Arbeitnehmer alleine tragen müssen, bis 2020 von durchschnittlich 1,1 Prozent auf 2,4 Prozent steigt, damit der erwartete Fehlbetrag in Höhe von 36,7 Milliarden Euro ausgeglichen werden kann. (…) Karl Lauterbach, der exzentrisch frisierte Gesundheitsexperte der SPD, glaubt nicht, dass man die steigenden Kosten der Krankenkassen alleine durch Einsparungen ihn den Griff bekommen kann: Er plädiert deshalb dafür, dass seine Partei mit der Forderung in den Wahlkampf zieht, dass die Arbeitgeber die Hälfte der Zusatzbeiträge übernehmen. (…) Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel fordert in der Rheinischen Post darüber hinaus, dass Freibeträge, wie es sie für die Einkommensteuer gibt, auch für Sozialabgaben eingeführt werden sollen, damit Kinderreiche weniger zahlen. Das Geld, das dadurch fehlt, will Schäfer-Gümbel über eine „leistungsgerechtere Beteiligung höherer Einkommen und Vermögen“ hereinholen. (…) DGB-Vorstand Annelie Buntenbach begrüßte Schäfer-Gümbels Pläne heute grundsätzlich, mahnte aber an, die „Beitragsausfälle aus Steuermitteln vollständig gegenfinanziert werden“ müssten, weil die Entlasteten sonst Nachteile bei der Rente hätten. Zum Vorschlag der Bundesbank, das Rentenanspruchsalter von 67 auf 69 Jahre heraufzusetzen, meinte die Funktionärin, die deutsche Zentralbank solle „zur Kenntnis nehmen, dass heute nur jeder sechste 64-Jährige noch sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist“ und dass „nur wenige […] direkt von der Arbeit in die Rente [gehen]“…“ Bericht von Peter Mühlbauer vom 16. August 2016 bei Telepolis externer Link. Siehe dazu erste gewerkschaftliche Stellungnahmen:

  • Bsirske unterstützt Forderung zur paritätischen Finanzierung des Krankenversicherungsbeitrags: „Fifty-fifty – das ist gerecht“
    Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) begrüßt den Vorstoß des SPD-Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel, die Arbeitgeber wieder voll in die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen einzubeziehen. „Das ist überfällig“, so Frank Bsirske, ver.di-Bundesvorsitzender zum SPD-Vorstoß. „Wir brauchen die Rückkehr in eine solidarische Finanzierung unserer gesetzlichen Krankenkassen. Es ist einfach sozial ungerecht, dass die Fortschritte in der Medizin einseitig durch Zusatzbeiträge von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern getragen werden. Schließlich profitieren alle vom medizinischen Fortschritt.“…“ ver.di-Pressemitteilung vom 17. August 2016 externer Link
  • „Arbeitgeber müssen mit in die Verantwortung“. Starke Beitragssteigerungen überlasten Beschäftigte
    „… Zu den aktuellen Zahlen über steigende Zusatzbeiträge in der Gesetzlichen Krankenversicherung sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach am Dienstag in Berlin: „Die einseitigen Kostenbelastungen waren seit Einführung der Arbeitnehmer-Zusatzbeiträge absehbar. Aber die starken Beitragssatzsteigerungen, die viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überlasten würden, können und müssen verhindert werden. Dafür muss die Regierungskoalition als erstes umgehend wieder die paritätische Finanzierung der Kassenbeiträge einführen. Die Arbeitgeber müssen mit in die Verantwortung. Es gibt keinen Grund, sie von den Kostensteigerungen der Zukunft auszunehmen und diese allein den Versicherten aufzuladen. Die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung ist ein Schritt in Richtung auf mehr soziale Gerechtigkeit.“ DGB-Pressemitteilung vom 16. August 2016 externer Link
  • Anm.: Wir fragen uns allerdings, warum es „gerecht“ sein soll, wenn die Arbeitgeberseite zur Finanzierung sozialer Belange nur die Hälfte des Sozialbeitrags der bei ihnen abhängig Beschäftigten bezahlt. Gerecht wäre eine Reduzierung von Profit zugunsten einer besseren Finanzierung sozialer Belange. Oder andersherum: Weil Arbeit krankmacht, sollen die Ausbeuter weit mehr als 50% zahlen…
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=103081
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