Das Streikrecht im Fadenkreuz von Kapital, Politik und Justiz – zum Beispiel beim Tarifeinheitsgesetz

26. Januar 2014 in Kassel: »Hände weg vom Streikrecht - für volle gewerkschaftliche Aktionsfreiheit«„Auch wenn das, was das Bundesverfassungsgericht bisher zum Tarifeinheitsgesetz entschied, im Mittelpunkt meines Beitrags steht, geht es mir vorrangig um ein häufig anzutreffendes gewerkschaftliches Legalitätsverständnis, was sich meiner Meinung nach ändern muss. So ist das Streikrecht für die Durchsetzung gewerkschaftlicher Ziele gegenüber einer herrschenden Politik, die lieber alles in den gewohnten Bahnen halten und steuern will, unverzichtbar und auch entwicklungsbedürftig. Die gewerkschaftliche Auseinandersetzung muss auch in dem Bereich geführt werden, wo entschieden wird, was erlaubt und was verboten ist. Um das zu verdeutlichen, nehme ich das Tarifeinheitsgesetz zum Anlass für die Kritik eines Rechtsverständnisses, was den Widerspruch von Kapital und Arbeit in ein die Widersprüche harmonisierendes einheitliches Recht aufheben will. Es geht mir also darum, wie die Gewerkschaftsbewegung legal mehr an Durchsetzungsmacht gewinnen kann. Denn Macht und Legalität stehen in einem untrennbaren Verhältnis zueinander, weshalb es sehr entscheiden ist, wie sich das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit entwickelt. Dabei reicht es nicht, dass Gewerkschaften sich einfach nur als legaler Teil der herrschenden Wirtschaftsordnung betrachten, weil deren Akzeptanz ursächlich mit der Entwicklung dieser Ordnung verbunden ist. Das Beispiel des Tarifeinheitsgesetzes zeigt, dass veränderte gesellschaftliche Bedingungen, sich auch im Recht darstellen, bzw. im Legalisierungsversuch einer spezifisch kapitalfreundlichen Rechtsauffassung…“ Beitrag von Armin Kammrad vom 22. Juli 2016  – wir danken!

  • U.E. wesentlich darin: „… Wenn klar ist, dass es nicht nur bei dem, was im Grundgesetz steht, sondern auch wie es interpretiert wird, um politische Kräfteverhältnisse geht, liegt ein wesentlicher Schluss für die unmittelbare gewerkschaftliche Praxis bezüglich des Tarifeinheitsgesetzes daraus eigentlich nahe: Die Regelungen des Tarifeinheitsgesetz einfach nicht beachten. Da noch gar nicht feststeht, ob das Gesetz wirklich verfassungskonform ist, kann auch bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kein Gericht einen Verstoß oder bei einer Weigerung der Akzeptanz des Gesetzes dies für rechtswidrig erklären. Zu befürchten ist allerdings, dass dann der Erste Senat nun plötzlich „von Amts wegen“ aktiv wird, wie er es sich Oktober 2015 vorbehielt 2. Was die beiden kleinen Gewerkschaften, deren Beschwerde abgelehnt wurde, betrifft, hängt deren Schicksal natürlich vor allem davon ab, in wieweit die großen, tariffähigen Gewerkschaften kapieren, dass die Haltung des Gerichts gegen diese erst im Aufbau befindlichen Gewerkschaften, sich auch gegen ihre ureigensten Interessen richtet (natürlich nur, sofern es sich nicht um „gelbe“ Gewerkschaften handelt, wovon ich ausgehe). Die beliebte Formel von der großen Bedeutung der Gewerkschaft für die abhängig Beschäftigten wird zur Phrase, wenn statt der grundsätzlich Bedeutung von Gewerkschaften im Kapitalismus nur die Interessen des eigenen Vereins in den Mittelpunkt gestellt werden. Eher sollte Tarifpluralität akzeptiert werden, statt sich auf regierungsamtliche Initiativen zur Schwächung der Gewerkschaften und zur Beseitigung von arbeitgeberseitigen Unannehmlichkeiten einzulassen. (…) Außerdem ist bei einem europäischen Streikrecht nicht nachvollziehbar, warum von den verschiedenen – aber legalen – Arbeitskampfmaßnahmen in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten, eine europäische Gewerkschaftsbewegung sich nicht jene auswählen und „europäisieren“ sollte, welche den größten Erfolg verspricht. (…) Mit Blick auf Europa sollte auch klargeworden sein, dass eine zwangsweise Regelung von Tarifpluralität isoliert auf nationalstaatlicher Ebene, nicht als EU-konform gelten kann. Zugegeben – bis deutsche Gewerkschaften ihre geballte Kampfkraft z.B. zur Unterstützung der Gewerkschaften in Frankreich gegen die dort geplanten Arbeitsgesetze einsetzen, ist es noch ein steiniger Weg. Aber bei einem global agierenden Kapital spielt es keine Rolle, wo gerade das heimatlose Kapital seine Angriffe auf die Arbeiterbewegung durchzusetzen versucht. Die einzige Chance besteht darin, dass die Gewerkschaften ebenso global agieren und sich von jedem Versuch nationaler Abkapselung und Konkurrenz freimachen – und solche gewerkschaftliche Politik lässt sich auch rechtlich rechtfertigen.“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=101548
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